Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
Vom Netzwerk:
wiederholte er, »da gibt es nichts Vorbereitetes und nichts kann authentischer sein.«
    Auf eine Frage des immer mehr erstaunten Pierre räumte er ein, daß die Katakomben ursprünglich einfach Friedhöfe waren und daß keinerlei religiöse Zeremonie dort vorgenommen wurde. Erst später, im vierten Jahrhundert, als man die Märtyrer verehrte, benützte man die Grüfte für den Kultus. Auch wurden sie erst während der Verfolgungen eine Zufluchtsstätte, zur Zeit, da die Christen genötigt waren, die Zugänge zu verbergen; bis dahin hatten sie frei und gesetzlich offen gestanden. Ihre wahre Geschichte bestand also in folgendem: vier Jahrhunderte waren sie Friedhöfe, wurden dann während der Unruhen Zufluchtsstätten und verwüstet, hierauf bis ins achte Jahrhundert verehrt, alsdann ihrer heiligen Reliquien beraubt, und zuletzt gerieten sie während mehr als sieben Jahrhunderten in eine solche Vergessenheit, daß die ersten Forschungsarbeiten im fünfzehnten Jahrhundert sie wie einen außerordentlichen Fund ans Licht brachten, als ein historisches Problem, dessen letztes Wort erst in unseren Tagen gesprochen wurde.
    »Bücken Sie sich gefälligst, meine Damen,« fuhr der Bruder dienstfertig fort, »Sie sehen, in dieser Nische befindet sich ein vollständiges, unberührtes Skelett. Es liegt hier seit sechzehn bis siebenzehn Jahrhunderten. Daraus können Sie wohl ersehen, wie die Körper gebettet wurden ... Die Gelehrten sagen, daß es eine Frau ist, zweifellos ein junges Mädchen. Das Skelett war noch voriges Jahr vollständig, aber Sie sehen, der Schädel ist zerbrochen. Ein Amerikaner hat ihn mit dem Stock zerschlagen, um sich zu überzeugen, ob der Kopf nicht falsch sei.«
    Die Damen hatten sich gebückt, und bei dem schwachen, tanzenden Licht drückten ihre blassen Gesichter ein mit Schrecken gemischtes Mitleid aus; besonders die so lebensvolle Tochter mit ihrem roten Munde, ihren großen schwarzen Augen sah einen Augenblick kläglich und schmerzlich aus. Dann versank alles wieder ins Dunkel; die kleinen Kerzen richteten sich auf und wanderten in dem schweren Dunkel die Galerien entlang. Die Besichtigung dauerte noch eine ganze Stunde, denn der Führer, der gewisse Winkel besonders liebte, erließ nicht ein einziges Detail; der Eifer trieb ihn an, als hatte er an der Rettung der Touristen zu arbeiten.
    Pierre schritt immer weiter vorwärts und eine tiefe Wandlung vollzog sich in ihm. Nach und nach, je mehr er sah und begriff, verkehrte sich seine erste Verblüffung über die von der Verschönerung der Erzähler und Dichter so verschiedene Wirklichkeit, seine Enttäuschung über diese so roh in die rötliche Erde gegrabenen Maulwurfslöcher in eine brüderliche Bewegung, in eine Rührung, die sein Herz erregte. Es war nicht der Gedanke an die fünfzehntausend Märtyrer, deren heilige Gebeine hier geruht hatten; nein, aber was für eine sanfte, ergebene und im Tode hoffnungsvolle Menschheit war das! Für die Christen bedeuteten diese niedrigen, dunklen Gänge nur einen zeitweiligen Ruheort. Wenn sie die Leichen nicht gleich den Heiden verbrannten, wenn sie sie begruben, so geschah das, weil sie von den Juden den Glauben an die Auferstehung des Fleisches übernommen hatten; und dieser glückliche Gedanke an ein Schlummern, an ein gutes Ausruhen nach einem gerechten Leben in Erwartung des himmlischen Lohnes bildete den ungeheuren Frieden, den unendlichen Zauber der finstern, unterirdischen Stadt. Alles darin verkündete eine dunkle und stille Nacht, alles darin schlief in entzückter Unbeweglichkeit, alles geduldete sich bis zu dem fernen Erwachen. Gab es etwas Rührenderes, als diese Tafeln aus Terracotta oder Marmor, die nicht einmal einen Namen, nur die Worte in pace , in Frieden, trugen? Endlich in Frieden sein, endlich in Frieden schlafen, nach vollendeter Aufgabe in Frieden auf den künftigen Himmel hoffen! Dieser Frieden erschien um so köstlicher, als er in tiefer Demut gekostet wurde. Freilich gruben die Totengräber aufs Geratewohl, mit der Unregelmäßigkeit ungeschickter Arbeiter; freilich konnten die Künstler nicht mehr einen Namen graviren, noch eine Palme oder eine Taube meißeln. Alle Kunst war verschwunden. Aber wie hell erhob sich die Stimme der jungen Menschheit aus dieser Armut und dieser Unwissenheit! Die Armen, die Geringen, die Einfältigen, das wuchernde Volk ruhte, schlief unter der Erde, wahrend die Sonne oben ihr Werk fortsetzte. Welche Nächstenliebe, welche Brüderlichkeit im Tode! Gatte

Weitere Kostenlose Bücher