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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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zugleich widerstandskräftige Erde; sie ist sehr leicht zu bearbeiten, vollständig wasserdicht, kurz, wie zu diesem Zweck geschaffen, und hat die Leichname wunderbar erhalten.«
    Er unterbrach sich und zeigte bei der schwachen Flamme seiner Kerze die rechts und links in die Wände eingegrabenen Nischen.
    »Sehen Sie, das sind die Loculi... Man grub also einen unterirdischen Gang, in dem man zu beiden Seiten diese über einander liegenden Nischen anbrachte, und legte die Toten, zumeist in ein einfaches Schweißtuch gehüllt, hinein. Dann schloß man die Oeffnung mit einer Marmortafel, die sorgfältig vorgekittet wurde. Nun ist alles klar, nicht wahr? Wenn andere Familien sich den ersten anschlossen, wenn die Gesellschaft sich ausbreitete, so setzten sie den Gang, je nachdem er gefüllt war, weiter fort; sie eröffneten auch andere, rechts, links, nach allen Richtungen, ja, sie schufen auch ein tiefer gelegenes, zweites Stockwerk. Sehen Sie, da sind wir in einem Gang, der gute vier Meter in der Hohe mißt. Natürlich fragt man sich, wie man die Leichen so hoch hinaufhissen konnte. Aber sie wurden nicht gehißt; im Gegenteil, man stieg immer tiefer hinab, fuhr fort, den Boden immer mehr zu durchwühlen, sobald die untersten Nischen voll waren. So kam es, daß hier zum Beispiel in weniger als vier Jahrhunderten Gänge in der Länge von sechzehn Kilometern gegraben wurden, wo mehr als eine Million Christen beerdigt sein müssen. Nun gibt es Dutzende solcher Katakomben; die ganze römische Campagna ist so untergraben. Bedenken Sie das und berechnen Sie es.«
    Pierre hörte gepackt zu. Einst hatte er ein belgisches Kohlenwerk besichtigt; hier fand er dieselben engen Gänge, dieselbe erstickend schwere Luft, ein Nichts von Dunkelheit und Stille wieder. Nur die kleinen Kerzen flimmerten durch das dichte Dunkel, das sie nicht erhellen konnten. Nun begriff er endlich die Arbeit dieser Totengräbertermiten, diese aufs Geratewohl gegrabenen Rattenlöcher; sie waren den Bedürfnissen gemäß, ohne Kunst, ohne Symmetrie fortgesetzt worden – so wie das Werkzeug eben hingeriet. Bei jedem Schritt hob und senkte sich der holperige Boden, die Wände gingen ganz schief; man hatte wohl nichts mit der Lotschnur, mit dem Winkelmaß gearbeitet. Es war bloß ein Werk der Notwendigkeit und Barmherzigkeit von naiven, freiwilligen Totengräbern, von unwissenden Arbeitern, die in die Unbeholfenheit der Dekadenz verfallen waren. Das merkte man besonders an den auf den Marmorplatten eingegrabenen Inschriften und Sinnbildern. Man hätte sie für kindische Zeichnungen halten können, wie sie Gassenjungen auf Mauern anzubringen pflegen.
    »Sie sehen, zumeist ist nur ein Name vorhanden,« fuhr der Priester fort, »manchmal nicht einmal der Name, bloß die Worte in pace . Ein andermal ist es ein Sinnbild: die Taube der Reinheit, die Palme des Märtyrers oder auch der Fisch, dessen griechischer Name aus fünf Buchstaben besteht, die die Anfangsbuchstaben der fünf Worte: ›Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland‹ sind«.
    Er näherte die kleine Flamme abermals der Wand und man konnte nun die Sinnbilder unterscheiden; die Palme, ein einziger Mittelstrich, an den andere kleine Striche stachelförmig angesetzt waren; die Taube oder den Fisch, aus einer Kontur gebildet, der Schwanz durch ein Zickzack, die Augen durch einen runden Punkt dargestellt. Die Buchstaben der kurzen Inschriften waren schief, ungleich, formlos. Es war die plumpe Handschrift der Unwissenden und Einfältigen.
    Aber nun war die Gesellschaft bei einer Krypta, einer Art von kleinem Saal, angelangt, wo man die Gräber mehrerer Päpste wieder gefunden hatte; darunter befand sich auch das Sixtus' II., eines heiligen Märtyrers, zu dessen Ehren Papst Damasius eine prächtige metrische Inschrift angebracht hatte, die noch zu sehen war. Dann, in einem ebenfalls schmalen Nebensaale, einem später mit naiven Wandmalereien geschmückten Familiengrabe, zeigte man den Ort, wo der Körper der heiligen Cäcilia entdeckt worden war. Der Mönch setzte seine Erklärungen fort, erläuterte die Malereien und stützte darauf die unwiderlegliche Bestätigung aller Sakramente und aller Dogmen – des Dogmas der Taufe, des Abendmahls, der Auferstehung, des aus dem Grabe hervorgehenden Lazarus, des vom Fische ausgespieenen Jonas, Daniels in der Löwengrube, Moses, wie er das Wasser aus dem Felsen schlug, des wunderwirkenden, unbärtigen Christus der ersten Jahrhunderte.
    »Sie sehen, alles ist da,«

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