Rom: Band 1
verkleinert und schwer gemacht, erfüllt aber doch mit ihrem erhabenen Dom den Himmel.
Unter der brennenden Sonne zogen sich kieselbestreute, einsame Abhänge hin, und eine niedrige, abgenützte, verblaßte Stufe folgte der andern. Ganz am Ende trat Pierre ein. Es war drei Uhr, und breite Strahlen fielen durch die hohen, viereckigen Fenster; links in der Capella Clementina begann eine Zeremonie, zweifellos die Vesper. Aber er horte nichts; nur die ungeheure Grüße des Schiffes fiel ihm auf. Mit langsamen Schritten, die Augen in die Höhe gerichtet, durchwanderte er seine maßlosen Dimensionen. Da waren gleich beim Eingang die riesigen Weihwasserkessel mit ihren Engeln, die so dick wie Amoretten waren; da war das Mittelschiff, das gewaltige, mit Deckenfeldern geschmückte Tonnengewölbe; da waren vor allem bei der Kreuzung die vier cyklopischen Pfeiler, die den Dom stützten; da waren die Querschiffe und das Chor, die einzeln so groß wie eine unserer Kirchen sind. Auch der stolze Pomp, das blendende, niederdrückende Gepränge packte ihn. Die Kuppel glänzte gleich einem Stern in den lebhaften Tönen und dem Gold der Mosaiken. Der Prachtbaldachin, dessen Bronze aus dem Pantheon stammt, krönt den Hochaltar, der über dem Grabe des heiligen Petrus errichtet ist; von dort geht die Doppeltreppe der Konfession aus, die von siebenundachtzig ewig brennenden Lampen erhellt wird. Und welcher Reichtum, welche Verschwendung von seltenem Marmor – weißer Marmor, farbiger Marmor neben einander und über einander. Ach, dieser polychrome Marmor, in dem Bernini toll-üppig schwelgte! Aus Marmor besteht das herrliche Pflaster, in dem das ganze Gebäude sich spiegelt, die Bekleidung der Pfeiler, die mit den Medaillons der Päpste geschmückt sind, abwechselnd mit der Tiara und den Schlüsseln, die von pausbackigen Engeln getragen werden; aus Marmor bestehen die mit Sinnbildern überladenen Wände, aus denen sich überall die Taube Innocenz' X. wiederholt, die Nischen mit ihren gewaltigen Statuen in barockem Geschmack, die Loggien und deren Ballone, die Rampe und die Doppeltreppe der Konfession, die reichen Altäre und die noch reicheren Gräber! Alles: das große Mittelschiff, die Seitenschiffe, die Querschiffe, das Chor waren aus Marmor, strotzten vor Marmor, strahlten im Reichtum des Marmors, ohne daß man einen handtellergroßen Fleck finden konnte, der nicht die übermütige Prahlerei des Marmors gezeigt hätte. Und so triumphirte die Basilika, unbestritten anerkannt und bewundert als die größte und die üppigste Kirche der Welt, als die Verkörperung des Ungeheuren und der Pracht.
Pierre ging immer weiter; er irrte durch die Schiffe und schaute betäubt um sich, ohne etwas unterscheiden zu können. Einen Augenblick blieb er vor dem heiligen Peter aus Bronze stehen, der in steifer, hieratischer Haltung auf seinem Marmorsockel stand. Einige Gläubige näherten sich und küßten die große Zehe des rechten Fußes. Einige wischten sie vor dem Küssen ab, andere küßten sie, ohne sie abzuwischen, lehnten die Stirne darauf und küßten sie abermals. Dann wandte Pierre sich in das linke Querschiff, wo sich die Beichtstühle befanden. Hier sitzen jederzeit Priester bereit, die Beichte in allen Sprachen abzunehmen. Andere warten mit einem langen Stäbchen bewaffnet und schlagen damit leicht auf den Schädel der niederknieenden Sünder, was diesen einen dreißigtägigen Ablaß verschafft. Aber es befanden sich sehr wenige Leute in der Kirche; die Priester vertrieben sich in den engen Holznischen die Wartezeit, indem sie wie zu Hause schrieben und lasen. Dann stand er wieder vor der Konfession, deren siebenundachtzig gleich Sternen funkelnde Lampen ihn interessirten. Der Hochaltar, an dem nur der Papst allein zelebriren darf, stand mit der stolzen Wehmut der Einsamkeit unter dem riesigen, blumengeschmückten Baldachin, dessen Hauptstück und Vergoldung mehr als eine halbe Million kostete.
Dann erinnerte er sich an die Zeremonie, die in der Capella Clementina zelebrirt wurde, und er geriet in Staunen, da er schlechterdings nichts hörte. Er glaubte, daß sie schon zu Ende sei, und wollte sich davon überzeugen. Aber je mehr er sich ihr näherte, um so stärker drang ein Hauch, der fernen Flötentönen glich, an sein Ohr; sie verstärkten sich, aber erst als er vor der Kapelle stand, erkannte er sie als Orgelmelodien. Rote Vorhänge, die vor die Fenster gezogen waren, dämpften das Sonnenlicht; so war die Kapelle ganz von einem
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