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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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ein Fürst bei den Menschen wie bei Gott, gezwungen war, in die Wüste, unter die Gräber zu gehen, um etwas frische Abendluft einzuatmen!
    Pierre hatte bereits lange Stunden zwischen den Gräbern zugebracht; die Dämmerung senkte sich herab und er wohnte noch einem bewundernswerten Sonnenuntergang bei. Auf der linken Seite nahm die von gelblichen Wasserleitungsbogen durchschnittene und in der Ferne von dem in duftigem Rosa sich verflüchtigenden Albanergebirge abgeschlossene Campagna eine schiefergraue Färbung an; rechts dagegen, gegen das Meer zu, ging das Gestirn unter kleinen Wolken, einem ganzen Archipel von Gold unter, das einen Ozean erstorbener Glut besäte. Und über dieser unendlichen, flachen Linie der Campagna war sonst nichts – nichts als dieser mit Rubinen gestreifte Saphirhimmel. Sonst nichts – kein Hügel, keine Herde, kein Baum. Nichts als die schwarze Silhouette des zwischen den Gräbern stehenden Kardinals Boccanera, die sich in vergrößertem Maßstabe von der letzten Purpurglut der Sonne abhob.
    Früh am nächsten Morgen kehrte Pierre, von der fieberhaften Begierde ergriffen, alles zu sehen, in die Via Appia zurück, um die Katakomben des St. Calixtus zu besichtigen. Es ist dies der größte und merkwürdigste der christlichen Friedhöfe, und hier sind auch mehrere der ersten Päpste begraben. Man steigt zwischen Oelbäumen und Cypressen, einen von der Sonne halbverbrannten Garten hinan, gelangt zu einer aus Brettern und Mörtel bestehenden elenden Hütte, in der ein kleiner Laden mit religiösen Gegenständen errichtet wurde, und steht dann vor einer modernen Treppe, die einen verhältnismäßig bequemen Abstieg gestattet. Pierre war froh, hier französische Trappisten zu finden, die diese Katakomben bewachen und den Touristen zeigen müssen. Eben war ein Bruder im Begriffe, mit zwei Damen, Französinnen, Mutter und Tochter, hinab zu steigen. Die Tochter war von entzückender Jugend, die Mutter noch immer sehr schön. Beide lächelten, wenn auch etwas furchtsam, während der Mönch die dünnen, langen Kerzen anzündete. Er besaß eine höckerige Stirne, die breiten, festen Kinnbacken eines störrischen Gläubigen, und seine blassen, hellen Augen verrieten die kindliche Unschuld seiner Seele.
    »Ach, Herr Abbé, Sie kommen gerade zu rechter Zeit ... Wenn die Damen nichts dagegen haben, können Sie sich uns anschlichen. Es sind nämlich schon drei Brüder mit Besuchern unten; da müßten Sie zu lange warten ... Es ist setzt die hohe Reisesaison.«
    Die Damen neigten höflich den Kopf; er reichte dem Priester eine der kleinen, schmalen Kerzen. Weder Mutter noch Tochter mußten fromm sein, denn sie hatten einen Seitenblick auf die schwarze Sutane ihres Begleiters geworfen und waren plötzlich ernsthaft geworden. Die Gesellschaft stieg hinab und gelangte zu einer Art sehr engen Korridors.
    »Geben Sie acht, meine Damen,« wiederholte der Mönch, indem er den Boden mit seiner Kerze beleuchtete. »Gehen Sie langsam; es gibt hier Hügel und abschüssige Stellen.«
    Nun begann er mit heller Stimme und der Kraft einer außerordentlichen Gewißheit seine Erklärungen. Pierre war schweigend hinuntergestiegen; seine Kehle war zusammengeschnürt, sein Herz klopfte vor Erregung. Ach, wie oft hatte er in der unschuldigen Seminarzeit von den Katakomben der ersten Christen, diesen Zufluchtsstätten des ursprünglichen Glaubens, geträumt! Und noch kürzlich, während er sein Buch schrieb – wie oft hatte er an sie gedacht, an diese älteste und ehrwürdigste Spur der Gemeinde der Armen und Einfältigen, deren Rückkehr er predigte! Aber sein Gehirn war ganz erfüllt von den Schilderungen der Dichter, der großen Prosaiker, die die Katakomben beschrieben haben. Er sah sie durch das Vergrößerungsglas der Phantasie und stellte sie sich ungeheuer groß, gleich unterirdischen Städten, vor – mit breiten Straßen und weiten Sälen, die große Menschenmengen fassen konnten. Und nun? In welche armselige, bescheidene Wirklichkeit geriet er!
    »Ach ja,« antwortete der Bruder auf die Fragen von Mutter und Tochter, »es ist nicht mehr als einen Meter breit, zwei Personen könnten nicht neben einander gehen. In welcher Weise man sie gegraben hat? O, das war ganz einfach. Stellen Sie sich vor, eine Familie, eine Bestattungs-Gesellschaft eröffnete eine Begräbnisstätte. Nun also, dann grub sie mit der Haue den ersten Gang in dieses sogenannte weiche Tuffsteinlager. Sie sehen, es ist eine rötliche, weiche und

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