Rom: Band 1
und weißer werden, je mehr man sich ihnen nähert. Rechts dagegen, aus der Seeseite erweitert und setzt sich die Ebene in riesigen Wellenlinien fort, ohne ein Haus, ohne einen Baum, in einfacher, außerordentlicher Grüße. Sie bildet eine einzige, ganz flache Linie, einen ozeanartigen Horizont, den eine gerade Linie, von einem Ende zum andern, vom Himmel trennt. Im Hochsommer brennt alles; die grenzenlose Prärie stammt in einer fahlen Glut wie ein Kohlenfeuer. Von September an beginnt dieses Grasmeer grau zu werden und verliert sich in der Ferne im Rosa und Lila, im blendenden, golddurchschossenen Blau schöner Sonnenuntergänge.
Und Pierre spann, ganz allein, seine Träume weiter. Er ging mit langsamen Schritten die endlose, flache Straße entlang, deren schwermütige Majestät aus Einsamkeit und Stille besteht. Sie zieht sich ganz kahl, ganz gerade ins Unendliche, in die Unendlichkeit der Campagna. In Pierre wiederholte sich die Auferstehung des Palatin; die Gräber zu beiden Seiten erhoben sich von neuem in dem blendenden Glanze ihres Marmors. Hatte man denn nicht hier, am Fuße dieses Ziegelpfeilers, der die seltsame Form einer großen Vase besitzt, den Kopf einer Kolossalstatue, vermischt mit Bruchstücken ungeheurer Sphinxe, gefunden? Und er sah die kolossale Statue zwischen den ungeheuren, kauernden Sphinxen wieder vor sich. Weiterhin, in der kleinen Zelle einer Grabstätte, war eine schöne, kopflose weibliche Figur entdeckt worden; er sah sie in ihrer Vollständigkeit, mit einem dem Leben voll Kraft und Anmut zulächelnden Gesichte vor sich. Von einem Ende zum andern ergänzten sich die Inschriften; er las sie, verstand sie ohne Mühe und fühlte sich brüderlich mit diesen seit zweitausend Jahren Gestorbenen wieder aufleben. Auch die Straße bevölkerte sich; Wagen rollten dröhnend einher, Armeen zogen schweren Schrittes vorüber, das Volk aus dem nahen Rom drängte sich in der fieberhaften Erregung großer Städte. Unter den Flaviern, unter den Antoninen, in der großen Zeit des Kaiserreiches war es, als die Via Appia sich mit dem ganzen Prunk ihrer gleich Tempeln gemeißelten und gezierten Riesengräber schmückte. Welch eine monumentale Bahn des Todes, welche Zufahrt war diese schnurgerade Landstraße, wo die großen Toten den in Rom Ankommenden mit dem außerordentlichen Pomp ihres die Asche überlebenden Stolzes empfingen und zu den Lebenden geleiteten! Zu welchem erhabenen, weltbeherrschenden Volke mußte man kommen, da es seine Toten mit der Aufgabe betraut hatte, dem Fremden zu sagen, daß nichts bei ihm ein Ende nehme, selbst nicht die Toten, die in übergroßen Monumenten glorreich verewigt wurden? Grundmauern einer Citadelle, ein Turm von zwanzig Meter im Durchmesser, um darin eine Frau zu betten! Pierre hatte sich umgedreht und bemerkte deutlich ganz am Ende der prächtigen, blendenden, von den marmornen Trauerpalästen begrenzten Straße den sich in der Ferne erhebenden Palatin mit dem funkelnden Marmor der Kaiserpaläste, dem ungeheuren Haufen der Paläste, deren Allmacht die Welt beherrschte.
Aber nun fuhr er leicht zusammen; zwei Karabinieri, die er in dieser Wüste gar nicht bemerkt hatte, erschienen zwischen den Ruinen. Die Gegend war nicht sicher; daher wachten die Behörden sogar bei hellem Tage diskret über die Touristen. Weiterhin hatte er noch eine Begegnung, die ihn erregte. Es war ein Geistlicher, ein hochgewachsener Greis in einer schwarzen, rotbortirten und rotgegürteten Sutane, in dem er zu seiner Ueberraschung den Kardinal Boccanera erkannte. Er hatte die Landstraße verlassen und schritt nun langsam auf dem Rasenstreifen inmitten des hohen Fenchels und der großen Disteln einher; er hielt den Kopf gesenkt und wanderte so vertieft zwischen den Gräberruinen, an die sein Fuß streifte, daß er den jungen Priester gar nicht sah. Dieser wandte sich höflich ab; er war ganz betroffen, ihm ganz allein und so weit entfernt von Rom zu begegnen. Dann aber erkannte er die Ursache; er entdeckte nämlich hinter einem Gebäude eine schwere, mit zwei Rappen bespannte Karosse, neben der ein Lakai in dunkler Livree unbeweglich wartete, während der Kutscher seinen Sitz nicht einmal verlassen hatte, und erinnerte sich, daß die Kardinäle, da sie in Rom nicht zu Fuß gehen durften, in die Campagna hinausfahren mußten, wenn sie sich etwas Bewegung machen wollten. Aber welche stolze Trauer, welche einsame und gleichsam abgesonderte Größe umgab diesen großen, träumerischen Greis, der,
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