Rom - Band III
war nicht mehr möglich. Ach, diese endlosen, düster dunklen Korridore, die kalte, riesenhafte Treppe, die in Nichts hinabzuführen schien, diese ungeheuren Säle, deren Mauern vor Armut und Vernachlässigung barsten! Und der innere, friedhofähnliche Hof, mit seinem Unkraut, mit seinem Portikus, unter dem Venus- und Apollotorsen faulten! Und das einsame, von den reifen Orangen durchduftete Gärtchen, das niemand mehr betreten würde – jetzt, da man unter dem Lorbeerbaum, neben dem Sarkophag, nie mehr die herrliche Contessina treffen konnte! All das ging in der furchtbaren Trauer, in der Stille des Todes unter, und die beiden letzten Boccanera brauchten in ihrer wilden Größe nur noch abzuwarten, bis ihr alter Palast, gleich ihrem Gotte, über ihrem Haupte zusammenbrach. Und Pierre vernahm nichts anderes als ein ganz leises Geräusch, das zweifellos von trippelnden Mäusen herrührte. Vielleicht waren die Zähne eines Nagetiers, der Abbé Paparelli, irgendwo in den abgelegenen Zimmern dabei, die Mauern zu zerbröckeln, das alte Haus von unten aus endlos anzufressen, um seinen Zusammenbruch zu beschleunigen.
Der Fiaker mit seinen zwei Laternen, deren zwei gelbe Strahlen das Dunkel der Straße durchbrachen, hielt vor der Thür. Das Gepäck war schon aufgeladen; die kleine Kiste lag neben dem Kutscher, der Handkoffer auf dem Rücksitz.
Der Priester stieg sogleich ein.
»O, Sie haben Zeit,« sagte Victorine, die auf dem Trottoir stehen geblieben war. »Es fehlt nichts; ich freue mich, daß Sie so bequem wegfahren.«
In dieser letzten Minute tröstete es ihn, diese Landsmännin, diese gute Seele zur Seite zu haben, die ihn am Tage seiner Ankunft empfangen hatte und ihm nun bei der Abreise das Geleite gab.
»Ich sage nicht ›auf Wiedersehen‹, Herr Abbé, denn ich glaube nicht, daß Sie sobald wieder in ihre verteufelte Stadt zurückkommen werden ... Adieu, Herr Abbé.«
»Adieu, Victorine. Und ich danke Ihnen, von ganzem Herzen.«
Das Pferd hatte sich bereits in raschen Trab gesetzt und der Wagen bog in die engen, gewundenen Straßen, die zum Corsa Victor Emanuel führen. Es regnete nicht; das Wagendach war nicht hinaufgeschlagen worden, aber trotzdem die feuchte Luft milde war, ward dem Priester sofort kalt. Er wollte jedoch keine Zeit verlieren, indem er den Kutscher halten ließ; diesmal war es ein Schweigsamer, der nur Eile zu haben schien, seinen Fahrgast loszuwerden.
Als Pierre auf den Corso Victor Emanuel hinausgelangte, war er überrascht, ihn zu dieser noch frühen Nachtstunde schon so einsam zu finden. Die Häuser waren verrammelt, die Trottoirs leer, nur die elektrischen Lampen brannten in der schwermütigen Einsamkeit. Wahrlich, es war gar nicht warm und der Nebel schien zuzunehmen, die Fassaden immer mehr zu überschwemmen. Als er an der Cancelleria vorbeikam, schien es ihm, daß das streng regelmäßige, gewaltige Gebäude weiter hinausrücke, verschwinde; und weiterhin, rechts, am Ende der von wenigen, rauchigen Gashähnen erhellten Via d'Aracoeli war das Kapitol in völliger Finsternis untergegangen. Dann verengerte sich der breite Torso und der Wagen fuhr zwischen den zwei düsteren, erdrückenden Massen des dunklen Il Gesu und des schwerfälligen Palazzo Altieri durch. In diesem engen Korridor nun, wo selbst an schönen sonnigen Tagen die ganze Feuchtigkeit der alten Zeiten fühlbar ward, gab er sich, Leib und Seele von Schauer ergriffen, einer neuen Träumerei hin.
Plötzlich erwachte in ihm wieder jener Gedanke, der ihn schon manchmal beunruhigt hatte: nämlich, daß die von da unten, von Asien ausgegangene Menschheit immer in der Richtung der Sonne gewandert sei. Stets hatte ein Ostwind geweht, der den menschlichen Samen für die künftige Ernte gen Westen trug. Schon seit langer Zeit hatte Zerstörung und Tod die Wiege getroffen; es war, als könnten die Völker nur etapenweise vorrücken, indem sie einen erschöpften Boden, zerstörte Städte, dezimirte und entartete Bevölkerungen hinter sich ließen, je weiter sie von Sonnenaufgang gegen Sonnenuntergang, dem unbekannten Ziele zuschritten. Ninive und Babylon an den Ufern des Euphrat, Theben und Memphis an den Ufern des Nil waren in Staub zerfallen, vor Alter und Müdigkeit in eine tödliche Betäubung versunken, aus der kein Erwachen möglich war. Von da aus hatte diese Abgelebtbeit die Küsten des großen Mittelmeeres ergriffen, Tyrus und Sidon im Staube der Zeit begraben und späterhin das in voller Pracht von Altersschwäche
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