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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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ich bei den Galas kennen gelernt hatte, vorbeischaute. Sie ging auf mich zu und umarmte mich. Dies kam einer Absolution gleich. Die Beamten verschwanden, und die Staatsanwältin lud mich zu einem Kaffee in ihr Büro ein. Sie sagte, die Obduktion habe ergeben, dass der Tod Julias durch eine Fraktur des Stirn- und Schläfenbeines in Verbindung mit starken Blutungen der Großhirnrinde eingetreten war. Außerdem habe die Obduktion ergeben, dass Julia vor kurzer Zeit erst eine Fehlgeburt gehabt haben müsse. Vielleicht, dachte ich, war sie deshalb so melancholisch, so verschlossen gewesen. »Sie hat nichts von ihrem Ende gespürt«, sagte die Staatsanwältin in diesem Augenblick. »Sie nimmt den glücklichen Moment mit auf die Reise. Verliebt am Beginn eines neuen Jahres.« Sie zwickte mich in den Arm, als sei diese Anspielung ein Trost für mich. »Sie haben Sie sehr gemocht, die kleine Julia?«, fragte sie.
    Ich nickte.
    Plötzlich wurde mir übel. Ich hatte das Gefühl, in großer Höhe auf einem schwankenden Seil zu balancieren. Ich muss sehr bleich geworden sein, denn die Staatsanwältin bemerkte sofort meinen Zustand. Sie riss das Fenster auf und öffnete mein Hemd. Dann eilte sie zur Toilette und kam mit einem nassen Handtuch zurück. Sie wischte damit über meinen Brustmuskel. »Es hat Sie mehr mitgenommen, als Sie zugeben wollen, nicht wahr?«
    In diesem Moment begann ich zu weinen wie ein kleines Kind. Die Staatsanwältin tat daraufhin das einzig Richtige. Sie versuchte nicht, mich zu trösten, sondern berichtete in sachlichem Ton vom Stand der Ermittlungen. »Die Polizei hat versucht, die Flugbahn der tödlichen Flasche zu rekonstruieren, was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Niemand, auch nicht die unmittelbaren Zeugen, hat sie kommen sehen. Man hat alle Flaschenwerfer verhört, deren man habhaft werden konnte. Alle beteuerten, dass sie in Richtung des großen Scherbenhaufens geworfen hatten. Vieles spricht dafür, dass die Flasche aus einem der oberen Fenster der umliegenden Häuser geworfen worden ist, möglicherweise gezielt. Ich frage mich, ob nicht Sie statt Julia das Opfer sein sollten. Was allerdings voraussetzt, dass Sie sich hier bereits in sehr kurzer Zeit erbitterte Feinde gemacht haben. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
    Ich schüttelte den Kopf. Es ging mir wieder viel besser. »Jedenfalls fürchte ich, dass sich die Ermittlungen in einer Sackgasse befinden«, sagte die Staatsanwältin. »Bleiben Sie noch länger hier?«
    »Ich glaube nicht. Ich werde wohl meine Zelte abbrechen und in den Süden fahren.«
    Ich erhob mich und bedankte mich für die Hilfe. »Passen Sie gut auf sich auf«, sagte die Staatsanwältin zum Abschied. »Ich möchte Ihnen nicht auf dem Obduktionstisch wieder begegnen.«
    Die Galas riefen mich an und fragten, ob sie sich um mich kümmern sollten. Ich verneinte. Die Berner Apathie schien von mir vollends Besitz ergriffen zu haben. Ich saß in der Wohnung in der Herrengasse, starrte auf die kleinen Kaminhäuschen und verspürte keinerlei Tatendrang. Dann geschah etwas völlig Unerwartetes: Am zweiten Januar erhielt ich einen Anruf des Altersheimes, in dem meine Mutter zuletzt gelebt hatte, und erfuhr, dass sie wieder aufgetaucht sei. Aber sie habe ihre Sachen gepackt und sei ausgezogen. Wohin, wisse man nicht. Niemand habe sie aufhalten können.
    Mich beschlich eine Ahnung. Ich rief zu Hause bei mir an. Sie war sofort am Telefon. Ihre Stimme klang so jung wie nie, dabei brüchig wie die einer Bardame, die zu viel raucht und trinkt. »Mein Junge, wie geht es dir? Wo treibst du dich überhaupt herum?«
    »Ich bin in der Schweiz.«
    »Mein Gott, ich habe gehört, dass man dort Käse als Suppe isst, statt ihn aufs Brot zu tun, wo er hingehört. Ist das nicht eine schreckliche Angewohnheit? Wann kommst du endlich nach Hause!«
    Ich hielt den Telefonhörer wie ein Stück glühende Kohle. Das Einzige, was ich herausbrachte, war ein gestammeltes »Mutter«, das vorwurfsvoll klingen sollte. Wieso war sie in ihr altes Haus zurückgekehrt, das sie doch an mich überschrieben hatte? Undenkbar, wieder mit ihr zusammenzuleben. Sie schien zu ahnen, was in mir vorging. »Komm erst mal zurück. Ich werde dir alles in Ruhe erklären. Du brauchst keine Angst zu haben, ich habe nichts verändert an deinen Räumen, obwohl man sie durchaus etwas gemütlicher und komfortabler einrichten könnte. Oder findest du einen völlig kahlen Raum mit einem Strohteppich, einem grässlichen Skelett an

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