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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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der Wand und einem unbequemen Stuhl etwa gemütlich? Aber das ist schließlich deine Sache. Ich wohne in deinem alten Kinderzimmer. Ich schlafe in deinem alten Kinderbett, mein Junge, ich habe es auf dem Boden gefunden und aufstellen lassen. Ich werde dir übrigens nicht lange zur Last fallen, denn ich bin zurückgekommen, um hier zu sterben.«
    Ich ließ die glühende Kohle fallen. Als ich den Hörer aufhob, war da nur noch das Tuten, das den Abbruch eines Gesprächs signalisiert.
    Ich tat in dieser Nacht kein Auge zu. Sie wollte in meinem Kinderbett sterben, meine eigene Mutter! Am nächsten Morgen nahm ich den frühsten Zug nach Groningen. Eine quälende Reise von über elf Stunden stand mit bevor. Auch diesmal musste ich in Köln umsteigen. Wir hatten Verspätung, und der Anschlusszug nach Utrecht war fort. Ich hatte zwei Stunden Zeit. Wieder ging ich in den bedrückenden Dom. Ich näherte mich einem der Beichtstühle, kniete nieder vor dem kleinen Fenster und sagte mit zitternder Stimme: »Vater, man hat an mir gesündigt. Indem man mich gebar, ohne mich zu fragen.« Ich legte das Ohr ans Gitter und lauschte. Ein leises Murmeln wie endlose Gebete war zu hören.
    Kurz nach neunzehn Uhr war ich in Groningen. Ich ging in meine Lieblingskneipe, die »Blaue Maus«. Nur nicht gleich nach Hause!, dachte ich. Vielleicht würde sie schon schlafen, wenn ich spät genug käme. Als ich am Tresen stand und mein alter Freund, der Wirt, mir wortlos ein randvolles Glas Genever hinschob, kam zum ersten Mal so etwas wie Ruhe über mich. Der Wirt der »Blauen Maus« ist einer der besten Menschenkenner, die mir begegnet sind. Manchmal wünschte ich mir, etwas von seinem Talent zu haben.
    »Was ist los mit dir, Piet«, sagte er, »du bist ja richtig durcheinander. Du machst den Eindruck, als wolltest du dich von etwas trennen und hast zugleich Angst davor. Komm, trink aus.«
    Ich kippte den Schnaps, und er füllte das Glas erneut. Wieder trank ich, und wieder goss er nach. »Auf drei Beinen steht es sich besser, das weiß jeder Hocker.«
    Er lachte, und sein breites, rosiges Gesicht glänzte wie ein Lampion. Draußen fegten Regenböen über das Pflaster und sprenkelten die Gracht.
    »Verdammt ungemütlich«, sagte er. »Wie immer um diese Jahreszeit. Holland ertrinkt im Regen. Das Meer kann es nicht verzeihen, dass man ihm dieses Land abgerungen hat, also schickt es die Sintflut als Drohgebärde. Aber genau deshalb ist es hier drinnen so verdammt gemütlich. So ist es eben.« Er hob die Flasche, aber ich hielt die flache Hand übers Glas.
    »Komm schon, ein Hocker mit vier Beinen ist noch besser als ein dreibeiniger.«
    »Aber er kann wackeln«, sagte ich, »ein dreibeiniger nicht.«
    Ich nahm die Hand von dem Glas weg, und er schenkte es halb voll.
    »Ein Kompromiss, mein Lieber. Dreieinhalb Beine.«
    Ich hob das Glas, sah hindurch, sah, wie verzerrt, verkrümmt alles wirkte, die Gesichter, der Raum, die Flaschen hinter dem Tresen. Dann stellte ich, ohne getrunken zu haben, das Glas behutsam auf die hölzerne Theke zurück und ging hinaus in den grauen, allgegenwärtigen, windzerzausten Regen.

Teil Zwei

1. Abschied

    Als ich vor dem Haus stand, kam ich mir vor wie einst als kleiner Junge, wenn ich etwas ausgefressen hatte oder schlechte Zensuren mit nach Hause brachte. Ich zögerte, die Gartenpforte zu öffnen. Die Fenster der Fassade waren dunkel. Wie polierte Grabsteine sahen sie aus. Schließlich fingerte ich den Hausschlüssel aus meiner Hosentasche und machte mich daran, die Haustür zu öffnen. Doch als ich ihn ins Schloss stecken wollte, gab die Tür nach. Wie von Geisterhand schwenkte sie auf und gab den Blick frei auf sie, auf diese Frau, die ich meine Mutter nannte und manchmal auch, wenn sie mir sympathisch war, meine Mama. Sie stand da in einem weißen Nachthemd mit offenen Haaren und einer brennenden Kerze in der Hand. Wie eine Illustration aus einem Märchenbuch. Das arme Mädchen mit den Schwefelhölzern von Andersen. »Du kommst spät, mein Sohn«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, die so wenig zu ihrem kleinen Körper passt. »Komm herein und wärm dich auf. Du bist ja ganz nass, du Ärmster.«
    Später, in meinem Kinderzimmer, kletterte sie ins Bett und zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch. »Hol dir ein Bier aus dem Kühlschrank. Ich habe welches für dich besorgt. Und dann erzähle, mein Junge. Ich sehe dir an, dass du etwas zu berichten hast. Wenn du Hunger hast, lass etwas vom Chinesen kommen.« Es war

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