Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
Vom Netzwerk:
Nebenzimmer Unmengen Rotwein, bis ich müde wurde. Die ganze Zeit über wartete ich auf ihren letzten Atemzug mit jener krausen Mischung von Furcht und Hoffnung, die wahrscheinlich kennzeichnend ist für eine Situation wie diese, denn das Schweben zwischen Leben und Tod tat beiden Seiten Gewalt an. Mehr und mehr verlor ich jedes Gefühl für Zeit. Es war, als verblasse das chronologische Prinzip der Natur in der Nähe dieses Menschen, der bereits halb der Ewigkeit angehörte.
    Dann geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Meine Mutter rief mich zu sich. Sie saß halb aufrecht im Bett und wirkte mit ihren geröteten Wangen jünger denn je. »Entsinnst du dich noch an deinen Vater?«
    Ich nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Du weißt doch, dass ich kaum Erinnerungen an ihn haben kann. Ohne das Foto im Wohnzimmer wüsste ich gar nicht, wie er ausgesehen hat. Ich war erst acht Jahre alt, als er starb. Wie soll ich da...«
    Sie unterbrach mich, indem sie mir ihre federleichte Hand auf den Unterarm legte. »Mein armer Junge«, flüsterte sie. »Du musstest ohne Vater aufwachsen. Das wird man dir immer anmerken, solange du lebst. Solchen Jungen fehlt einfach das, was einen richtigen Mann aus ihnen macht. Sie sind immer ein bisschen feminin, habe ich Recht?«
    Ich schluckte. »Ja Mutter, du hast vermutlich Recht. Aber vaterlose Gesellen wie ich haben dafür andere Vorteile.«
    Sie lächelte. »Wie schön für dich. Aber sieht das deine schottische Freundin auch so? Oder ist sie dir deshalb fortgelaufen?«
    »Mutter, ich glaube nicht, dass sie einfach nur fortgelaufen ist. Ihr Verschwinden muss schwerwiegende Gründe haben. Sie wird schon wieder auftauchen. Wir lieben uns!«
    Sie schüttelte sich vor Lachen. Als sie wieder zu Atem kam, sagte sie: »Liebe, was ist das schon. Ein albernes Wort, das die wahren Motive verschleiert. Alles Fortpflanzungsbrimbamborium. Aber lassen wir das, ich will dich nicht entmutigen. Liebe...«, sie begann wieder zu lachen wie über einen guten Witz. »Wenn ihr Männer einer Frau an die Wäsche geht, dann hat das mit Liebe so viel zu tun wie ein Glühwürmchen mit der Sonne. Glühwürmchen erzeugen übrigens ein kaltes Licht. Sie erregen sich, indem sie sich an gewissen Körperteilen reiben.«
    Ich wurde rot, glaube ich. Dann sagte sie etwas, das mir den Atem wirklich verschlug. »Ich muss dir etwas mitteilen, mein guter Sohn. Es fällt mir schwer, das kannst du mir glauben. Ich habe dich belogen.«
    Sie schloss die Augen. Ihre Lippen zitterten. »Gib mir ein wenig Kognak.«
    Ich reichte ihr die volle Schnabeltasse, und sie trank sie leer. »Dein Vater ist nicht an Leukämie gestorben. Er hat uns damals schnöde verlassen. Natürlich wegen einer anderen Frau. Er war ein haltloser Mensch. Ich wollte dir den Kummer erleichtern. Deshalb habe ich dir nicht die Wahrheit gesagt. Du warst damals in einem Landheim. Deshalb hast du nichts mitbekommen.«
    »Ich weiß noch, dass du nicht wolltest, dass ich zur Beerdigung komme.«
    »Es war einfach, dich zu überzeugen. Dein Vater war ja wirklich lange krank gewesen. Aber als er wieder gesund war, ist er abgehauen. Mit einer Krankenschwester. Einer Italienerin. Sie hatte unwahrscheinlich große Brüste und lange schwarze Haare. Sie sah aus wie eine Zigeunerin. Diese Männer. Sie fliegen auf solche Frauen, weil sie nicht merken, dass sich unter dem Mantel aus Glut ein eiskalter Kern verbirgt. Dein Vater war da nicht besser als seine Geschlechtsgenossen. Bestimmt ist er unglücklich mit ihr geworden. Ich hoffe es wenigstens. Ich glaube übrigens, dass dein Vater noch lebt. Ich habe nämlich vor zwei Jahren eine Postkarte von ihm erhalten. Aus Rom. Und noch etwas musst du wissen. Ich habe dir immer erzählt, dass dein Vater im Widerstand war. Dass er sein Leben im Kampf gegen die deutschen Besatzer riskiert hat. Auch das ist nicht wahr. Dein Vater war auf Seiten der Nazis. Er hat Judentransporte nach Deutschland organisiert.«
    Sie drehte den Kopf auf die Seite und rutschte immer tiefer unter die Decke, bis nur noch ihre bleiche, von einem feinen Schweißfilm bedeckte Stirn zu sehen war. »Lass mich jetzt schlafen«, hörte ich ihre Stimme dumpf durch den Stoff. »Es ist das letzte Mal. Kannst du mir noch eine Packung Zigaretten bringen, meine Marke? Und Streichhölzer? Und mein Parfüm? Es steht im Badezimmer.«
    Ich ging. Ich musste eine Weile laufen bis zur nächsten Kneipe. Ich kaufte eine Packung Gauloises ohne Filter und trank einen

Weitere Kostenlose Bücher