Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
Vom Netzwerk:
Hutständer mit einer Kopfbedeckung, in der zwei lange Nadeln steckten. Rasch zog ich eine von ihnen heraus und stach mit ihr in den Bauch der Puppe. Die Nadel stieß gegen einen Widerstand. Seltsam! Ich nahm eine andere Puppe. Auch hier das gleiche Experiment mit dem gleichen Ergebnis. Ein harter Gegenstand, fühlbar mit der Nadel. Ich bohrte einen Finger in eine Naht zwischen den Puppenbeinen und erweiterte sie, bis ich den harten Gegenstand ertasten konnte. Es gelang mir, ihn mithilfe eines zweiten Fingers herauszuziehen. Es war ein länglicher Gegenstand von einigem Gewicht. Etwa von der Größe eines Schokoladenriegels. Er schimmerte matt im schwachen Dämmerlicht, das von der Straßenlaterne draußen stammte. Ich ließ ihn in meine Sakkotasche gleiten. Als ich mich umdrehte, sah ich eine lebensgroße Puppe in der Tür stehen. Sie trat ein und glitt auf mich zu. Die großen grauen Augen wirkten unnatürlich geweitet. Sie schlang die dünnen Arme um meinen Hals und legte den Kopf an meine Brust. »Ach Crampas, Sie sind... Sie sind...«, flüsterte sie. Dann hob sie den Kopf und sah mich an. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Sie müssen den Satz vollenden, indem Sie jetzt sagen: ›Ein Narr‹.«
    Wieder legte sie den Kopf an meine Brust, und wieder flüsterte sie: »Ach Crampas, Sie sind... Sie sind...«
    »Ein Narr«, sagte ich.
    »Nein«, protestierte sie. »Auch darin übertreiben Sie wieder.«
    Sie löste sich, trat ans Fenster und schob den Vorhang beiseite. Draußen rieselte Schnee vom Himmel herab. »Sie müssen jetzt unbedingt sagen: Wenn das so weitergeht, schneien wir hier ein.«
    Ich wiederholte den Satz. Sie lächelte und kam einen Schritt näher: »Mit dem Eingeschneitwerden verbinde ich schon seit jeher eine freundliche Vorstellung, eine Vorstellung von Schutz und Beistand.«
    Sie drehte sich um, und während sie mich anblickte, zog sie ihre Bluse aus. Ihre Nacktheit wirkte seltsam. Es war, als sei sie in ihren schmalen Körper gekleidet.
    »›Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie sollen meine Tage hier verlaufen ohne dich! In diesem öden Nest. Ich bin außer mir, und nur darin hast du Recht: Es ist die Rettung, und wir müssen schließlich doch die Hand segnen, die diese Trennung über uns verhängt.‹ Das schreibt Crampas, dieser Trottel. Die Wahrheit ist, dass nicht er Effi verführte. Es war umgekehrt. Sie war es. Sie hat sein Leben zerstört, um ihn ganz für sich zu haben.«
    Näher und näher kam sie.
    »Wissen Sie, was die letzten Worte von Crampas sind, nachdem ihn Instetten tödlich verwundet hat? ›Wollen Sie...‹, das war alles, was er seinem Mörder ins Ohr zu flüstern in der Lage war, ehe er starb. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie der Satz weitergehen sollte. Die meisten denken, dass sich Crampas beim Ehemann entschuldigen wollte. Nein. Er wollte sagen: ›Wollen Sie wirklich Effi an sich fesseln? Es ist besser, Sie geben sie frei. Denn ihrer Liebe sind wir Männer nicht gewachsen.«
    Sie zog mich auf das Sofa zwischen die Puppen und begann mit dem, was sie Effi zugeschrieben hatte: Sie verführte mich.
    Vielleicht eine Viertelstunde später betraten wir das große Zimmer. Die dort versammelten Gäste kamen mir in diesem Moment vor wie eine verschworene Gemeinschaft. Alle blickten uns erwartungsvoll an.
    »Ich habe Doktor Hieronymus meine Puppensammlung gezeigt«, sagte Franziska Gala. »Er war sehr interessiert.«
    Als sei dies das Kommando, die fröhliche Runde zu beenden, erhoben sich alle, eilten zu ihren Mänteln, verabschiedeten sich fast übertrieben herzlich voneinander. Umarmungen, Wangenküsse, Händeschütteln. Ich bot Julia an, sie zu ihrer Bushaltestelle zu begleiten. Und so stapften wir nebeneinander durch den Schnee. Kleine Wölkchen kondensierender Luft bildeten sich vor unseren Gesichtern und verschmolzen miteinander. An der Haltestelle warteten wir schweigend. Als der Bus kam, gab mir Julia die Hand. Sie war kalt. Beim Einsteigen drehte sie sich noch einmal um. »Es wäre schön, wenn Sie mich einmal auf meiner Arbeitsstelle besuchten, Doktor Hieronymus«, sagte sie. Dann schloss sich die Tür.
    Ich besuchte Julia schon am nächsten Tag. Sie arbeitete in einer Filiale der Universitätsbibliothek. Sie war zwischen den Jahren geschlossen, und wir waren die einzigen Personen in der großen Anlage. Wir tranken Kaffee in einer Nische zwischen lauter Stahlregalen voller Bücher. Anschließend zeigte sie mir die technischen Einrichtungen in einer

Weitere Kostenlose Bücher