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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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mit dem menschlichen Genom genauso. Unser gesamter Bauplan einschließlich der Talente, Mängel, ja bis hin zu unseren Macken oder der Anzahl und Länge der Brusthaare befindet sich auf dreiundzwanzig Chromosomenpaaren. Sie sind die Regale, die Magazine sozusagen einer gigantischen Bibliothek, die wir das menschliche Genom nennen. Sie besteht aus drei Milliarden einzelner Bücher, den Genbausteinen, aber nur drei bis fünf Prozent, also zirka hundert bis hundertfünfzig Millionen Bücher, haben einen wichtigen Inhalt, wie etwa die Festlegung der Haarfarbe, Stimmhöhe und so weiter. Alle anderen enthalten Unsinn, leeres Gewäsch, sind Müll, wie die Genforscher sagen. Warum, fragt man sich, hat der Schöpfer derartig unökonomisch gearbeitet. Du würdest doch auch nutzlose Bücher aus deinem Magazin werfen, Franz!«
    »Ich? Ich liebe nutzlose Bücher. Sonst hätte ich wohl kaum einige hundert Bände unserer lieben Schweizer Autoren in den Regalen.«
    »Aber ich bitte dich, Franz, einige hundert, das ist nichts im Vergleich zur Redundanz des menschlichen Genoms!«
    Marcello Tusa, der sich bislang im Gespräch zurückgehalten hatte, mischte sich jetzt ein: »Im Vatikan, meine Herrschaften, modern tausende von wertvollen Büchern und Handschriften vor sich hin. Ein Fraß der Milben, der Pilze, der Feuchtigkeit. Welch ungeheure Arche Noah des Wissens versinkt hier im Meer des Vergessens. Man sollte etwas dagegen tun. Päpste sind austauschbar, diese Bücher nicht!«
    Er blickt mit seinen schönen Rehaugen Beifall heischend um sich. Dann ruhte sein Blick auf der sanften Dame neben mir. »Julia, Sie sagen ja gar nichts. Wie immer. Dabei weiß ich doch, dass in Ihrem hübschen Köpfchen so allerlei vorgeht.«
    Die junge Bibliothekarin sah zu Boden. Leichte Röte überzog ihr Gesicht. Ich versuchte, ihr beizustehen, indem ich das Gespräch an mich zog. »Vielleicht enthalten jene zwei Komma neun Milliarden Bücher doch kein bloßes Kauderwelsch«, warf ich ein. »Vielleicht können wir sie einfach nicht lesen, weil sie in einer unbekannten Schrift die Geheimnisse der Kunst, der Gefühle, der Magie enthalten.«
    Ich wunderte mich selbst über diese dumme These. »Die Rätsel, die uns die Physik aufgibt, die Chaostheorie ebenso, wenn sie die Gesetze von Kausalität und Zufall einschränkt oder gar über den Haufen wirft: All das könnte in einer unsichtbaren Schrift in diesen Blindbänden stehen.«
    Der Apotheker lachte dröhnend. »Sie sollten Bibliothekar werden, wie unser lieber Doktor Gala. Der hält auch jedes Buch für wichtig, wenn es nur zwei Deckel und einen Rücken hat.«
    Drei Stunden vergingen wie im Flug. Es gab irgendwann kleine Schnittchen. Dann wurden Ananasstückchen gereicht, getränkt in Pflaumenschnaps. »Welch wunderbare Frucht«, rief der Apotheker. »Sie verdankt ihre himmlische Süße meiner Meinung nach ausschließlich der Tatsache, dass die Ananas zu ihrer Vermehrung keine Besamung braucht. Parthenokarpie nennt man das, natürliche Jungfernfrüchtigkeit.«
    Die Klarinettistin und die Modistin, die eng befreundet zu sein schienen, erzählten von ihrer nächsten Veranstaltung. Ein großer Auftritt als Nanas. Eine Demo durch die Altstadt. Sie waren gerade dabei, die Kostüme zu schneidern. Sie würden auf Stelzen laufen, in diesen bunten riesigen schwangeren Puppenleibern mit den kleinen Köpfen. Sie würden das graue Bern schockieren. »Niki de Saint Phalle hat mit ihren Nanas der Männerwelt den Spiegel vorgehalten. Alle Frauen sind virtuelle schwangere Mütter, auch wenn sie dünn sind und keine Kinder bekommen können«, sagte die Modistin mit einem Seitenblick auf die Gastgeberin. Der Apotheker ließ sich hören mit seinem bemerkenswerten Bass. »Ihr wisst, das Nana der indianische Name für Ananas ist? Ich sage nur ein Wort: ›Jungfernfrüchtigkeit‹.«
    Die Stimmung stieg. Die Klarinettistin wurde um eine Kostprobe ihres Könnens gebeten. Sie eilte in die Garderobe und kam mit dem schwarzen Instrumentenkasten zurück. Ich nutzte die Gelegenheit, um in das Zimmer der Gastgeberin zu schlüpfen. Schwaches Licht drang von draußen durch die Vorhänge. Die Puppen blickten mich aus ihren ausdruckslosen Glasaugen an. Ich nahm eine von ihnen hoch und drückte auf ihren Bauch. Kein Laut, kein krächzendes »Mama«. Stattdessen fühlte ich etwas Hartes unter dem weichen Stoff. Da es eine dieser sonst vollkommen weichen Puppen für Kleinkinder war, kam mir das merkwürdig vor. Mein Blick fiel auf einen

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