Roman
quält mich mit Übelkeit. Wir sind also gerade dabei, in das Reich eines Vampir-Überlebenskünstlers einzudringen, und zwar in Begleitung einer Person, die all das repräsentiert, was er hasst.
Es beginnt zu regnen, als wir die Ausfahrt nach Thurmont, Maryland, nehmen. In dem Augenblick, in dem wir in das Tal mitten in den Appalachen hineinfahren, wird das Signal von WVMP schwächer. Noahs Reggae-Melodien werden von Knistern begleitet, bis das Signal ganz abbricht und nur noch statisches Rauschen zu hören ist. Elizabeth schaltet das Radio aus.
»Ich habe schon den ganzen Tag darüber nachgedacht«, sagt sie, »und bin zu einer Entscheidung gelangt.« Sie hält inne und schaut erst David, dann mich an. Offenkundig genießt sie es, uns auf die Folter zu spannen.
Schließlich fragt David: »Zu einer Entscheidung worüber?«
»Darüber, ob ich den Sender verkaufe oder nicht. Ich tue es nicht.«
Ich traue meinen Ohren kaum. David schnappt nach Luft und fragt: »Warum nicht?«
»Zu verkaufen wäre genau das, was Gideon will. Ich verkaufe VMP , der ganze Werbefeldzug endet, und er gewinnt.« Ihre Hände umklammern das Lenkrad fester. »Das aber gefällt mir nicht, ganz und gar nicht. Also machen wir den Sender zum verdammt noch mal besten, den es jemals gab … und zwar mit Vampiren.«
»Und wenn er weiter gegen uns vorgeht?«, will David wissen.
»Jetzt, wo er seinen Zug gemacht hat, wird die Liga ein Team von Sicherheitsleuten abstellen, die den Sender schützen, bis Gideon … bis diese Bedrohung neutralisiert ist.«
Ich schnaube verächtlich. »Also musste erst jemand sterben, damit die Liga uns beschützt? Und es hätte, wie du weißt, ja nicht viel gefehlt und Travis hätte mich auch noch umgebracht.«
»Das tut mir leid.« Elizabeth schüttelt den Kopf. »Aber keine Polizeibehörde der Welt stellt Leute für eine Rundum-Bewachung nur auf Grund eines Drohanrufs ab. Denk doch nur an all die misshandelten Frauen, die umgebracht wurden, nachdem sie weitaus massiver bedroht wurden als wir von Gideon. Es fehlen einfach die Mittel, um die Welt für jeden zu einem sicheren Ort zu machen.«
»He, Ciara?« David dreht sich im Beifahrersitz zu mir um. »Gratulation! Sie haben es geschafft.«
»Nein, Gideon hat es geschafft.«
»Eigentlich nicht allein«, stellt Elizabeth richtig. »Ich würde den Sender nicht nur wegen Gideon behalten. Würde WVMP finanziell immer noch ausbluten, hätte ich nicht gezögert zu verkaufen.«
»Oh. Na dann – gut. Glaube ich.« Ich bin froh, dass keiner erwähnt, dass Gideon immer noch glücklich sein Eremitendasein führen würde, wäre meine umwerfend erfolgreiche Werbekampagne nicht gewesen. Und es gäbe einen toten Detektiv weniger. Oder untoten. »Was auch immer dich umgestimmt hat – danke, Elizabeth.«
Davids dankbarer – und zugleich auch bewundernder – Blick, mit dem er Elizabeth bedenkt, bedarf keiner Worte. Ich frage mich, was der Umstand, dass sie ihre Meinung über den Sender geändert hat, für Davids und ihre doch recht verworrene Beziehung bedeutet.
Elizabeth geht vom Gas und fährt ganz langsam weiter, während sie durch die nasse Windschutzscheibe auf eine Gruppe von Briefkästen starrt. Die Briefkästen sind alles, was man in der dunklen, von Bäumen gesäumten Straße erkennen kann. Elizabeth schaut auf ein Blatt Papier, das am Armaturenbrett hängt. »Hier ist es, jedenfalls laut unserer Akten.«
Wir holpern mit dem Mercedes über den steilen, unebenen Weg. Anfangs ist er noch asphaltiert. Aber als er uns in dicht bewaldetes Gelände führt, haben wir schnell Schotter, dann nur noch Matsch unter den Reifen. Ich sehe nichts als regenverschleierte Bäume.
Wir gelangen an einen hohen Maschendrahtzaun, der von Stacheldraht bekrönt wird. Elizabeth fährt den Mercedes vor bis zur kleinen weißen Box einer Sprechanlage. Sie kurbelt das Fenster herunter und drückt den Sprechknopf unter dem runden Lautsprecher. »Wir möchten mit Gideon sprechen.«
Nach einem kurzen Moment statischen Rauschens sagt eine männliche Stimme: »Haupttür.« Es ist zwar schwierig, das nach ein paar Silben zu beurteilen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Typ, dem diese Stimme gehört, nicht der Anrufer ist, der uns bedroht hat.
Das Tor schwingt auf. Wir folgen der schmalen Straße, die vor einem weißen Ranch-Haus mit auffallend breiter Front endet. Auf der überdachten Veranda steht ein einsamer Schaukelstuhl, der sich in den stürmischen Böen wiegt, die ums Haus
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