Roman
essen zu müssen.«
»Ach, wirklich, du möchtest gern hier wohnen?«, faucht Elizabeth ihn an. »Na dann, nur zu!«
»Ich bin viel zu jung für diesen Ort.« Jim senkt die Stimme. »Hier wohnen doch nur Spießer.«
Ich suche Davids Blick, um herauszufinden, ob wir uns darüber Sorgen machen müssen, als Teil des Viehbestands zu enden. David aber scheint mir eher wütend als ängstlich zu sein. Vielleicht sind die Menschen, die zum Inventar gehören, ja freiwillig hier. Kost und Logis im Austausch für Blutspenden könnte für jemanden, für den die Zeiten hart sind, durchaus ein guter Handel sein. Aber die Atmosphäre hier hat etwas von einem Gefängnis. Die Ranch erscheint mehr wie ein Spiegelbild der Ruhesitze, wie die Liga sie bereitstellt. Ich verspüre das unbändige Verlangen, an irgendeinem ganz anderen Ort zu sein.
Hinter uns plappert Travis pausenlos vor sich hin wie ein Kleinkind. »Eiszug. Langsam und vorsichtig. Nein, ich möchte kein Hühnchen.« Oder sowas in der Art.
Am Ende dieser längsten Treppe führt uns Lawrence nach rechts. Wir scheinen im letzten Untergeschoss angekommen zu sein – nicht, dass ich in dem kaum vorhandenen Licht viel sehen könnte.
Wir folgen einem schmalen, gemauerten Gang, gehen an offenen Türen vorbei. Diese gewähren uns Einblick in die von Kerzen erhellten Zimmer mit Gestalten, die sich auf ihren Betten winden und krümmen, ächzen und stöhnen. Selbst meine nicht sonderlich gute menschliche Nase meldet mir den Geruch von Blut. Ich verlangsame das Schritttempo so weit, dass Travis in mich hineinläuft. Er keucht auf und schreckt zurück.
Jemand nimmt mich bei der Hand. David. Ich seufze erleichtert auf und umklammere seine Hand mit aller Kraft. Seine Haut fühlt sich warm an, lebendig, weil er Hamburger isst, Salat und Schoko-Hörnchen. Und das ist alles, was zählt.
Vor uns auf der rechten Seite, fast am Ende des Ganges, tanzt der Widerschein eines Kaminfeuers an der Wand. Lawrence führt uns durch die Tür links gegenüber, die von zwei muskulösen Wächtern flankiert wird. Sie sehen aus wie Kanalratten auf Steroiden.
Ein kräftig gebauter Mann sitzt im Schneidersitz in der Ecke neben dem Kamin. Den Rücken hat er gegen die Wand gelehnt. Sein Gesicht wird von der Krempe eines zerbeulten hellgrauen Filzhuts beschattet. Die Flammen werfen ihr Licht auf einen vor langer Zeit einmal modern gewesenen Anzug mit passender Weste. Der Mann sitzt in sich zusammengesackt da. Dennoch erweckt seine absolute Reglosigkeit den Eindruck von Unnachgiebigkeit und Selbstkontrolle.
Lawrence schließt die Tür hinter uns. Von dem Moment an ist kein Laut mehr zu hören, außer dem Knistern der Flammen, dem Knacken der Holzscheite im Feuer und Travis’ unregelmäßigen Atemzügen.
Der Mann im Anzug hebt den Kopf. David und ich fahren instinktiv einen Schritt zurück. Die Kälte, die jeden einzelnen Wirbel meines Rückgrats hochkriecht, lässt meine erste Reaktion auf Monroe rückblickend zu einem gelangweilten Gähnen werden.
Unter dichten, dunklen Augenbrauen besitzen die großen, pechschwarzen Augen des Mannes eine magnetisierende Kraft, wie man sie von Filmstars kennt. Dieser Blick erinnert mich an Orson Wells in Macbeth: Das Niveau geistiger Gesundheit dürfte etwa dasselbe sein. Das schwarze Haar trägt der Mann zurückgegelt, was die Makellosigkeit seiner elfenbeinfarbenen Haut nur noch unterstreicht – eine Hautfarbe wie Klaviertasten im Kerzenschein.
»Willkommen«, sagt der Mann, ohne dass eine Spur davon in seiner Stimme läge.
Sofort wirft sich Travis in den Schmutz des Bodens gleich neben dem Mann, der Gideon sein muss. Travis achtet nicht auf die Flammen, die nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt im Kamin züngeln. Er presst die Stirn auf den Boden, dorthin, wo das Knie seines Blutvaters ist, und fleht ihn mit schnell gestammelten, zusammenhanglosen Worten an.
Im Gegenzug tätschelt Gideon dem Detektiv den Kopf. Travis zittert und stöhnt auf. Der alte Vampir gibt ihm einen Stoß; für ihn selbst ist es nicht mehr als ein leichter Schubser. Doch diese kleine, mühelose Handbewegung schleudert Travis durch den ganzen Raum und gegen die Wand auf der gegenüberliegenden Seite. Die anderen Vampire ziehen hörbar die Luft durch die Zähne ein.
»Scheißkerl!«, zischt Elizabeth Gideon an. Das war’s dann wohl mit den Abrüstungsverhandlungen. »Erst verwandelst du ihn und lässt ihn ohne Nahrung zurück, und dann weist du ihn auch noch derart zurück? Was für ein
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