Roman
Erleichterung ist. Ihr Haar raschelt über ihre Bluse, während es in den Schlund gesogen wird. Zum Schluss schlägt sie mit Beinen und Armen um sich, ihre Finger kratzen über den Boden, während sie unerbittlich ins Vakuum gesogen werden.
Ein leises Plop! , und es ist vorbei. Stille folgt. David lässt mich los, und ich krieche in die nächste Ecke; mir dreht sich der Magen um.
Jemand mit weitaus mehr Kraft als David packt mich und hält mir den Mund zu. »Niemand kotzt auf Gideons Boden, klar? Schluck’s runter oder erstick dran, deine Entscheidung.«
Mir schießen Tränen in die Augen, aber ich nicke. Eine der rattengesichtigen Türwachen ist es, der mich daraufhin loslässt. Und ich schlucke die rauchige Luft, würge und keuche.
»Das«, sagt Gideon und zeigt auf die Stelle, an der Elizabeth starb, »passiert keinem Menschen. Opfer von Flugzeugabstürzen zerreißt es vielleicht in unkenntlich kleine Stücke. Aber wenn man lange genug sucht und genau hinschaut, finden sich Überreste: ein Zahn, Ausscheidungen aus dem Darmtrakt. Die Leichen dieser Opfer existieren, selbst dann, selbst vermischt mit anderen Leichen oder Beton und Stahl. Aber Elizabeth ist nirgendwo mehr. Sie ist nichts.«
Ich starre auf den Haufen aus Kleidung und Schmuck, der übrig geblieben ist. Plötzlich begreife ich, dass nirgends Blutflecke zu sehen sind. Ich schaue mein eigenes TShirt an – sauber. Vor einer Minute noch ist überall Blut gewesen. Nicht einmal meine Hände tragen eine Spur von Elizabeths Sterben.
»Nichts«, wiederholt Gideon. Er beugt sich vor. »Verstehst du jetzt, was Angst bedeutet, Ciara?«
Ich umfasse meine Knie. Kalter Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter; ich kann es spüren. Shanes Fangzähne, Reginas Hypnoseblick, selbst Travis’ Wiedererweckung – das ist eine Sache. Aber das hier, das ist auf einer ganz anderen Ebene durch und durch falsch.
Etwas kann nicht einfach zu nichts werden. Das ist unmöglich. Doch es ist passiert. Gerade eben. Was kann sonst noch alles passieren? Es gibt keine Regeln, keine Grenzen, nichts, an dem ich mich festhalten könnte. Einen Herzschlag lang bin ich überzeugt, dass die Panik mich zerschmettert, und dass das, was dann von mir übrig bleibt im Boden versickert, dreißig Meter tief.
»Ihr alle dürft jetzt gehen«, sagt Gideon an David gewandt. Dann blickt er mich an. »Außer dir.«
Mir wird eiskalt ums Herz. Ich wimmere wortlos Protest. Ich will nicht zum gemolkenen Vieh werden.
»Nein«, erwidert David mit rauer Stimme. »Wir werden sie nicht hierlassen, damit du von ihr trinken kannst. Auf keinen Fall!«
»Ich werde nicht von ihr trinken.« Sein Blick ruht auf meiner Halsbeuge, während er spricht: »Nicht, wenn ihr mir den Beweis erbringt, dass dieser Werbefeldzug ein Ende hat. Morgen bei Sonnenuntergang.« Er betrachtet Travis wie ein Künstler sein fertig gestelltes Gemälde. »Oder ich werde mehr tun, als nur von ihr trinken.«
Ich erschauere, zittere am ganzen Körper. So wenig ich als Melkvieh enden will – noch weniger möchte ich Vampir werden.
»Auf gar keinen Fall.« David verschränkt die Arme vor der Brust. Er wirkt längst nicht mehr so gebrochen von Trauer und Schmerz wie noch vor einer Minute. »Sie darf gehen, und ich bleibe dafür hier.«
»Du hast, was den Sender angeht, Wichtiges zu regeln«, hält Gideon ihm vor. »Im Übrigen könntest du in deinem Zustand auf dumme Gedanken kommen, was meine Person angeht. Also bleibt das Mädchen.«
Jim drängt sich an David vorbei und stellt sich neben mich. »Ich bleibe bei ihr.« Er nimmt mich am Ellbogen und hilft mir auf. Ich suche seinen Blick. Sein Angebot überrascht und verwirrt mich.
Ein Lächeln huscht über Gideons Gesicht. »Ja, ich glaube du könntest nützlich sein.«
Lawrence macht eine Kopfbewegung in Richtung Tür. »Die Treppe hoch.«
Ich folge ihm und Jim in den Gang. Dann werfe ich einen Blick über die Schulter auf Davids tränennasses Gesicht. »Lass dich von Spencer nach Hause fahren, David«, bitte ich ihn. »Dir geht es nicht gut.«
»Ciara …«
»Ich mache keine Dummheiten.« Ich denke an das, was in den letzten zehn Minuten passiert ist. »Keine neuen Dummheiten.«
Jim und ich sind in einem nicht belegten ›Gästezimmer‹ eingesperrt. Das Mobiliar besteht aus einem Doppelbett mit gelb-weißem Kopf- und Fußteil und einem passenden Nachttisch. Eine Wand ist mit Laminat getäfelt, die andere in einem zarten Rosa gestrichen.
Jim hat sich auf dem Bett ausgestreckt.
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