Roman
Vampir bist du?«
»Wenn ich nicht nach euren Regeln handele«, erwidert Gideon in ruhigem Ton, »dann, weil ich einen guten Grund habe.«
»Und was für ein guter Grund sollte das wohl sein?«
»Er ist ein Exempel, ein Demonstrationsobjekt, wenn man so will.« Gideon streckt den Arm in Richtung Travis aus und krümmt ein einziges Mal auffordernd seinen Zeigefinger. Travis kriecht ungelenk wie eine Krabbe mit gebrochenen Beinen zu ihm. Als er seinen Blutvater fast erreicht hat, hält der ihm in eindeutig abwehrender Geste die erhobene Handfläche entgegen. Travis erstarrt, blickt seinen Blutvater flehend an. Am liebsten würde ich mich umdrehen und die nächste Wand anstarren. Denn ich fürchte schon, Gideon könnte seinem Abkömmling befehlen, den Kopf ins Feuer zu stecken. Travis täte es, zweifellos, wäre sogar glücklich darüber – die Bindung zwischen ihnen ist fast greifbar.
»Nett«, meint Elizabeth. »Eine Demonstration deines Sadismus – als ob wir dafür noch weitere Beweise gebraucht hätten.«
»Eine Demonstration meiner Macht.« Gideons starrer Blick ist unverändert auf Travis gerichtet. »Und eine Demonstration dessen, was wieder und wieder geschehen wird, wenn die Schikane nicht ein Ende findet.«
Irgendwo tief in meinen Eingeweiden wird es mit einem Mal ganz kalt.
»Dieser WVMP -Humbug«, fährt Gideon fort, »bei dem die Wahrheit als Lüge getarnt verbreitet wird. Die Menschen an ihrer eigenen Skeptik packen und vorführen. Der cleverste Betrug ist der, nicht zu betrügen.« Jetzt entlässt Gideon Travis aus seinem Blick, um mich anzusehen. »Nicht wahr, Ciara?«
Ich stammele Unverständliches; meine Kehle ist wie zugeschnürt. Mir ist, als sauge der alte Vampir mich mit jedem Atemzug in sich hinein.
»Das muss aufhören, ehe jemand zu Schaden kommt«, sagt er.
»Bei allem Respekt, Sir«, mischt sich Spencer ein, der neben dem zitternden Travis kniet, »aber jemand ist bereits zu Schaden gekommen.«
»Dann hilf ihm, wenn du in einer so wohltätigen Stimmung bist.« Gideon verscheucht sie mit einer Handbewegung. »Das Leben eines einzelnen Vampirs ist nicht von Belang für mich. Ich habe die Pflicht, das Wohl aller Vampire im Auge zu behalten.« Nacheinander bedenkt Gideon Elizabeth, David und mich mit einem Blick. »Manche Menschen werden sich von euren Werbespielchen nicht blenden lassen. Sie werden begreifen, dass es tatsächlich Vampire gibt. Und dann haben wir Krieg.« Gideon spreizt die Finger. »Oder ein neugieriger Hörer möchte nur allzu gern wissen, was geschieht, wenn einer eurer Freunde von Sonnenstrahlen getroffen wird oder Feuer zu spüren bekommt.« Gideon angelt sich einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer und wedelt damit in Richtung Vampire. Die springen fauchend zurück. »Nur um einen etwas langweiligen Samstagabend aufzupeppen.«
Vielleicht hat Gideon damit sogar Recht. Vielleicht hat unsere Werbekampagne die Vampire tatsächlich in größte Gefahr gebracht. Vielleicht waren die Zeiten davor besser. Sicherer.
Dann aber muss ich daran denken, wie sich Shane in den letzten Monaten verändert hat, wie er gelernt hat, neue Musik zu mögen, ein Auto mit Kupplung zu fahren – wie er gelernt hat, wieder zu lernen. Wie glücklich er dabei wirkt, in dieser verrückten, großen, scheiß beängstigenden Welt von heute zu leben. Einem Heute, das ihn dazu bringt, seinen Blick aufs Morgen zu richten.
»Du hast Recht«, sage ich.
Gideons Augenbrauen schnellen in die Höhe, ziehen sich dann zusammen, als sei er überrascht oder aus der Fassung gebracht, weil ein Menschlein es gewagt hat, ihn anzusprechen.
»All das könnte passieren«, fahre ich unbeirrt fort, »trotz der Vorsichtsmaßnahmen, die wir ergriffen haben. Meine Freunde könnten sich alle – puff – in Luft auflösen, entweder durch eine böse Absicht oder auf Grund eines Versehens. Aber das Dasein eines Vampirs ist, ebenso wie das eines Menschen, immer risikoreich und unsicher.« Ich mustere die Wände hier in der Rückzugshöhle, die Gideon sich geschaffen hat. »Lieber sich im Licht als in der Dunkelheit verstecken.«
»Dies hier ist kein Versteck«, widerspricht mir Gideon. »Es ist eine Festung.«
Ich spreche weiter, leise, in sanftem Ton. »Und wozu ist eine Festung gut? Um die Dinge fernzuhalten, die einen ängstigen.«
»Um das fernzuhalten, was uns bedroht.« Seine Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als er Elizabeth fixiert. »Ich habe gesehen, was sie tun«, Gideons Stimme bebt vor Zorn,
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