Roman
Richtung.
Auf Elizabeth.
22
Darkness on the Edge of Town
Ich drehe mich zu Elizabeth um. Sie liegt zusammengesunken am Boden, Kopf und Schultern in Davids Schoß, die Beine in Embryo-Haltung an den Körper gezogen. Die hintere Hälfte des Pflocks ragt aus ihrer Brust. Alles ist blutgetränkt. Elizabeth hat die Finger in Davids Hemd gekrallt.
»Z…zieh ihn raus. Bitte!« Sie hustet Blut, das ihr übers Kinn fließt. »Es tut so weh; es tut so schrecklich weh.«
Davids Gesicht ist nass von Tränen. »Ich kann nicht.«
»Bitte!« Ihre Stimme überschlägt sich, ein Ton, so hoch, dass er einem in die Knochen fährt. »Zieh ihn raus, David, o Gott, bitte mach, dass es aufhört.«
David beugt sich über sie, umfasst den Pflock. Ich sehe, wie sich seine Armmuskeln anspannen, dann aber erschlaffen. »Ich kann es nicht.« Er senkt den Kopf. »Nicht bei dir.«
Ich knie mich neben die beiden und greife nach dem Pflock, Davids Hand unter meiner.
Er packt den Pflock nun wieder fester, während er mich anschaut. »Du weißt nicht, was du da tust.«
»David!« Elizabeth stößt einen gurgelnden Schrei aus. Sie versucht zu husten, aber dadurch gerät nur noch mehr Blut in ihre Lunge. Sie verdreht die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist; sie schlägt mit den Armen um sich, ihre Nägel zerkratzen mir die nackte Haut auf den Unterarmen.
»David, sie hat schreckliche Schmerzen. Wir können ihr die Schmerzen nehmen.« Ich suche besseren Halt mit den Füßen, um mehr Hebelkraft aufwenden zu können. »Auf drei, okay?«
Sein Blick trifft meinen; da ist nur unendliche Qual. Dann schaut David wieder hinunter in Elizabeths Gesicht.
»Eins«, flüstere ich. Sie schaut mich und nicht ihn an. »Zwei.« Mach schon, Elizabeth, schenk ihm einen letzten Blick. Verschwende nicht dein letztes Augenlicht an mich.
Sie schließt die Augen, und als sie sie wieder öffnet, blickt sie David an.
»Ich liebe dich«, flüstert er.
»Drei!«
Mein eigener Schwung reißt mich nach hinten; den Pflock halte ich fest mit beiden Händen umklammert. Einer von Gideons Türwachen entwindet mir sofort die Waffe. Ich liege immer noch auf dem Rücken, setze mich aber jetzt auf und sehe, wie David Elizabeth auf dem Schoß wiegt. Er streichelt ihr Haar. Blut strömt aus der Wunde, aber sonst passiert nichts. Vielleicht hat Gideon ja ihr Herz verfehlt, oder vielleicht ist sie auch gar kein Vampir. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich nie ihre Fangzähne gesehen.
Schlagartig beginnt sie zu zittern, bebt am ganzen Körper. Es gleicht aber keinen Krämpfen, wie ich sie in meinem Leben schon gesehen habe. Es ist, als ob jedes Atom in ihrem Körper zu zittern begänne, bereit, den Platz mit einem Atom von der gegenüberliegenden Seite ihres Körpers zu tauschen. Sanft legt David Elizabeth auf den Boden, eine zärtliche Geste. Dann tritt er ein paar Schritte zurück. Er legt mir den Arm um die Schultern und bedeckt mit der anderen Hand meine Augen. »Schau nicht hin, Ciara, schau ja nicht hin.«
Ich schiebe die Hand fort, aber löse mich nicht aus Davids Umarmung. Die anderen, außer Travis und Gideon, haben bereits die Gesichter abgewandt. Ich kralle meine Finger, alle zehn, in Davids Arm und schaue zu.
Das Blut fließt zurück in die Wunde. Es rinnt hinein, wie Regen von einer Windschutzscheibe rinnt. Vielleicht schließt sich ja die Wunde von selbst, heilt, so wie die Kratzer auf Shanes Rücken verheilt sind.
Aber dann geschieht es. Die Wunde frisst Elizabeths Fleisch. Es wird in das Loch in ihrer Brust gesogen: erst das Fleisch ihrer Brust, dann das Fleisch ihres Bauches, dann – o Gott – Fleisch von überall her. Muskeln werden bis zum Zerreißen gedehnt, Knochen knacken und brechen, alles wird in dieses kleine, fünf Zentimeter große Loch in ihrem Herzen gesogen. Immer schneller – doch nicht schnell genug, um zu verhindern, dass ich sehe wie schließlich ihr Gesicht angesaugt und hinuntergezogen wird, als würde es von ihren Schädelknochen schmelzen.
Ich weiß nicht, ob etwas zu hören ist, während Elizabeths Körper kollabiert, weil ich außer meinem eigenen Kreischen nichts hören kann. David hält mir schließlich den Mund zu, und erst da erinnere ich mich daran, dass man in Gegenwart von Vampiren nicht schreien sollte.
Elizabeth schreit nicht, weil ihre Kehle in dem Schlund in ihrer Brust verschwindet, gefolgt von ihren Zähnen, ihrer Nase, ihren Augen. Ihre Augen starren ins Leere mit einem Ausdruck, von dem ich hoffe, dass es
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