Roman
»diese Menschen von der Liga und ihre Vampir-Dirnen.«
Elizabeth erlaubt sich keinerlei Regung. »Die Liga beschützt Vampire.«
»Indem sie uns zwingt zu gehorchen«, knurrt Gideon seine Entgegnung. »Den Zielen der Menschen dienlich zu sein. Wir haben ein Recht auf Frieden.«
»Das hier nennst du Frieden?« Elizabeth zeigt zur Decke. »Menschen gefangen zu halten?«
»Unsere Gäste haben sich selbst dazu entschieden, hier zu bleiben«, behauptet er.
»Weil du dich zum Führer eines Kultes erhoben hast wie seinerzeit Jim Jones oder David Koresh.« Sie hält inne und schüttelt den Kopf. »Du weißt ja gar nicht, wer diese Männer sind. Du weißt nicht, wie rückständig deine Ideen sind und all das hier, weil du noch mitten in der Zeit des Ersten Weltkriegs steckst. Deswegen brauchst du und jeder andere Vampir die Hilfe der Liga.«
Diese talkshow-artige Vampir-Debatte bringt uns nirgendwohin. Ich mache einen Schritt nach vorn und wage mich damit näher ans Feuer als es jeder der Vampire würde. Wieder wende ich mich an Gideon. »Wenn du uns die ganze Zeit über beobachtet hast, weißt du doch, wie glücklich die Moderatoren des Senders den ganzen Sommer über waren. Sie leben wirklich und wahrhaftig in dieser Welt.«
»Möglicherweise auf Kosten des Überlebens«, sagt Gideon.
»Ist das nicht eine Wahl, die jeder von ihnen selbst treffen sollte? Du sprichst davon, frei von der Kontrolle durch die Liga zu sein. Aber man kann nie wirklich frei sein, wenn man sich seine Entscheidungen von seinen Ängsten diktieren lässt.« Ich höre meine Eltern durch mich sprechen, und irgendwo in meinem Kopf verwandelt sich das Zimmer tief unter der Ranch in ein überfülltes Zelt mit Kerzenlicht, Musik und Halleluja-Rufen. »Ich habe Menschen gesehen, die sich nicht trauten zu gehen, weil sie Angst hatten zu fallen. Ich habe gesehen, wie sie sich aus ihren Rollstühlen erhoben, ihre Krücken fortwarfen und einen Freudentanz aufführten, in dem Augenblick, in dem sie ihre Angst überwanden.«
»Solche kleinen suggestiven, manipulativen Tricks funktionieren vielleicht bei geistig schwachen Menschen«, knurrt Gideon, »aber Vampire sind keine Menschen.«
»Du hast Unrecht.« Ich zeige auf die drei DJ s. »Tief in ihrem Inneren leben immer noch Menschen, ob sie das nun zugeben oder nicht.«
Gideon wirkt amüsiert. »Und wie lange kennst du die drei schon?«
»Lange genug, um zu wissen, dass sie an etwas glauben. Sie glauben mit jeder Faser ihres Herzens an die Musik. Sie glauben daran, ein Gleichgewicht zwischen dem Heute und dem Gestern finden zu können. Zum Teufel noch mal, sie glauben sogar, ich sei eine miese Pokerspielerin.«
»Warum sollte mich das beeindrucken?«
»Weil an etwas zu glauben das ist, worum es im Leben geht.« Daddy hätte diesen Satz sicher gemocht. Ich hole zum entscheidenden Schlag aus. »Gideon, bitte lass deine Angst hinter dir, sag ihr, sie soll ihre giftigen Klauen aus deinem Herz ziehen.« Ich deute auf das Feuer. »Es ist die Angst, die dich dazu getrieben hat, dich in dieser Ecke zu verkriechen: weil du es nicht wagst, jemandem den Rücken zuzudrehen. Dafür reicht dein Vertrauen in andere nicht. Angst hat eure Nachbarn in Camp David dazu gebracht, Bomben zu bauen und sich wie Maulwürfe vor dem Falken tief in der Erde zu verstecken. Und es ist Angst, die uns am Ende noch alle töten wird.«
In meinem Kopf kann ich sie hören: die Amen-Rufe, die mir entgegenschallen. Ich drehe mich zu Elizabeth um. Sie nickt nachdenklich und lächelt. Ich stelle mich neben sie und schaffe so eine einige Front. Yeah, Schwester.
Nach längerem Schweigen ergreift Gideon wieder das Wort. »Du glaubst, du wüsstest alles über Angst, meine Kleine?«
Er streckt Lawrence die Hand hin. Der legt ihm einen der Pflöcke auf die fordernd geöffnete Handfläche. Gideon fixiert mich mit seinem Blick, während er ausholt. Der Pflock schwirrt durch die Luft.
Ich schaue an mir herunter und sehe Blutstropfen auf meinem TShirt. Verfluchte Scheiße, hat er mich gerade gepfählt? Ich wünschte, ich hätte meiner Mutter eine Antwort auf ihre Mail geschickt.
Meine Knie verwandeln sich in Gelatine, als Schreie der Bestürzung rund um mich herum die kurz eingetretene Stille zerreißen. Jemand schluchzt immer und immer wieder das Wort ›Nein‹.
Ich greife mir an die Brust und will den Pflock herausziehen, und erst da begreife ich, dass keiner dort ist. Die Blutspritzer auf meinem TShirt deuten alle in eine, in dieselbe
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