Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman

Roman

Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
Vom Netzwerk:
Punktierungen neben einer ehemals hässlich tiefen Fleischwunde.
    Lori beugt sich vor und greift nach dem Schirm der Messinglampe auf dem Schreibtisch, um die Narbe ins rechte Licht zu setzen. »Wow!« Sie lässt sich gegen die Lehne des Bürostuhls fallen. »Nicht nur deine Augenbrauen brauchen ein bisschen mehr Kontur.«
    Ich balle die Fäuste. »Du wirst es sofort begreifen, wenn du die älteren Vampire siehst. Dein Bauch wird es dir sagen, und dann wird dir schlagartig klar sein, dass ich die Wahrheit sage!«
    »Die Wahrheit worüber?«, knurrt eine Stimme hinter mir.
    Reginas Schatten verdunkelt die Türschwelle. Sie sieht einfach nur geil aus. Ihr auftoupiertes Haar rahmt ihr Gesicht wie ein schwarzer Strahlenkranz ein; das Gesicht in überirdischem Glanz. Das kurze, nietenbesetzte Lederkleid schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, der komplett in einem an vielen Stellen zerrissenen Netz-Bodysuit steckt. Nur die langen, feingliedrigen Finger, üppig mit Silberringen bestückt, lässt er frei. Der einzige Tupfer Farbe findet sich auf Reginas Lippen: ein tiefes, sattes Burgunderrot, das man ihr so wie Wein von den Lippen lecken möchte – beinahe.
    Ich drehe mich zu Lori um, der die Kinnlade heruntergefallen ist.
    Mit der Energie und Ausstrahlung einer Operndiva, die sich auf der Bühne bewegt, betritt Regina das Büro. Trotz ihrer silberbeschlagenen Stiefel scheint sie zu gleiten, nicht zu gehen. Lori springt mit der Hast eines aufgescheuchten Kaninchens auf die Füße. Dabei lässt sie die Schminksachen fallen, die sie in der Hand gehalten hat.
    »Was zum Teufel hat sie denn?«, fragt Regina mich.
    »Ich habe ihr erzählt, dass du ein Vampir bist.«
    »Ach was.«
    »Ich meine, ich habe ihr erzählt, dass du wirklich ein Vampir bist.«
    »Oh – verdammte Scheiße, was soll das, Ciara?«
    »Sie ist meine beste Freundin. Ich werde es sonst niemandem erzählen, und sie wird es auch schön für sich behalten.«
    »Und wie sie das wird!« Mit blitzenden Fangzähnen nähert sich Regina Lori. Lori quiekt auf, zu mehr hat sie offenbar keine Luft in den Lungen, und weicht zurück, bis sie den Rücken gegen den Aktenschrank hinter sich presst. Regina fährt mit einem spitzen, schwarz lackierten Fingernagel über Loris Wange, dann den Hals hinunter und immer weiter nach unten: Kein Zweifel, sie beschreibt mit dem Fingernagel den Verlauf einer Hauptader. »Es wären die letzten Worte, die ihr noch über die Lippen kämen. Das stimmt doch, nicht wahr, Kleine?«
    Lori schüttelt eifrig den Kopf. »Ich sag’s niemandem, ich schwör’s!«
    Regina senkt ihren Blick tief in Loris weit aufgerissene Augen. »Und auf wessen Grab möchtest du das schwören?«
    »Das reicht!« Ich habe das Ganze nur deshalb so weit kommen lassen, weil es nötig ist, um Lori einen gehörigen Schrecken einzujagen. Erschrecken ja, aber quälen – nein. »Lass sie in Ruhe!«
    Regina macht sich nicht die Mühe, sich zu mir umzudrehen. Sie packt mich an der Verschnürung der Korsage und zieht mich mit einem wohlkalkulierten Ruck an sich. »Ich nehme keine Befehle von dir entgegen!«
    »Ich wette, diesen Befehl kannst du nicht ignorieren!« Ich greife mir das Silberkreuz, das immer noch auf dem Schreibtisch gelegen hat, und halte es ihr unter die Nase. Kurz flackert etwas wie Angst in ihren Augen auf, dann aber lacht sie.
    »Ein Kreuz in den Händen von jemandem, der nicht glaubt, hat keine Macht. Du könntest mich auch mit einem Spatel bedrohen.«
    »Das mach ich vielleicht noch!« Mir geht auf, dass der Satz wohl kaum Sinn ergibt, und versuche, den verlorenen Boden wiedergutzumachen. »David mag es nicht, wenn ihr auf eure Umgebung losgeht.«
    Regina lacht kurz und höhnisch auf, fährt aber ihre Reißzähne ein und lässt uns los. »Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich mir ein paar von Shanes CD s gekrallt habe.« Mit dem Fuß gibt sie dem Rucksack, den sie auf ihrem Weg ins Büro fallengelassen hat, einen Tritt. »Dann kann, sollte er doch noch auftauchen, einer von euch ihn vielleicht dazu überreden, ein paar Scheiben aufzulegen.«
    »Vielleicht kannst du das«, sage ich.
    »Ich kann den Scheiß nicht spielen. Ist zwar nicht so ätzend wie manch anderes Zeugs, aber …«
    »Nein, das meine ich nicht. Ich meine, vielleicht kannst du ihn überzeugen, Musik aufzulegen.«
    Sie sucht meinen Blick. »Diese Art von Einfluss habe ich nicht mehr auf ihn«, sagt sie, und ihre Stimme klingt sanfter, als ich es je zuvor von ihr gehört

Weitere Kostenlose Bücher