Roman
Runden passe ich früh. Ich spüre, wie enttäuscht die anderen am Tisch sind, weil sie nichts über mein Setz- und Spielverhalten herausfinden können.
Endlich bekomme ich ein gutes Blatt, eine niedrige Straße. Ich entscheide mich zu überspielen. Beim nächsten Setzen erhöhe ich den Einsatz gleich um drei Dollar.
Alle passen. Ich ziehe einen Schmollmund. »Will denn niemand meine Karten sehen?«
»Doch, sicher, Mädchen«, sagt Spencer, »zeig mal, was du hast.«
Mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes im Kindergarten, das sein erstes Fingerfarben-Bild vorzeigt, lege ich meine Straße auf den Tisch.
»Und ich hab mit ’nem Flush gepasst!«, stöhnt Noah. »So wie sie gesetzt hat, da hab ich gedacht, sie hat ’n Full House.«
»Aber eine Straße zählt mehr als ein Flush«, erwidere ich.
»Nein, tut sie nicht«, rutscht es Regina heraus, ehe sie sich wieder besinnt. »Ach, komm schon! Das weißt du doch!«
»Aber statistisch gesehen ist es schwieriger, eine Straße zu bekommen als einen Flush.«
»Das stimmt nicht!«, hält Regina mir entgegen. »Beim Seven-Card-Stud ist die Wahrscheinlichkeit einen Flush zu bekommen eins zu dreiunddreißig, die eine Straße zu bekommen dagegen eins zu zweiundzwanzig.«
Shane schiebt die Chips aus der Tischmitte zu mir herüber. »Tja, sieht aber so aus, als ob es andersherum sein müsste.«
Daraufhin fährt Regina ihn an: »Echt finster, wie du auf die abfährst, und dabei hast du sie noch nicht einmal gefickt!«
Spencer räuspert sich. »Ciara, möchtest du vielleicht, dass ich dir die Wertigkeit der Blätter aufschreibe?«
Einen im Sack, fehlen noch drei. »Das würdest du tun?«, frage ich zuckersüß. »Ich hätte auch gern was zu trinken, wenn’s nicht zu viele Umstände macht.«
»Ich geh schon«, bietet Shane an.
»Ja, genau, geh – besser als an ihr hängenzubleiben!« Regina wirft Shane einen bedeutungsschweren Blick zu. Er ignoriert sie auch dieses Mal.
Die beiden netten Vampire sind fort und überlassen mich Noah und Regina. Die beiden stieren mich an, als sei ich eine Knoblauchknolle. Ich versuche zu vergessen, was Shane mir über die Killer-Instinkte von Vampiren erzählt hat und probiere mein Smalltalk-Talent bei Noah. »David hat mir erzählt, du stammst aus Kingston. Wie ist es denn da so?«
Noah verschränkt die Arme vor der Brust; den rechten Daumen auf dem linken, den linken auf dem rechten Bizeps. »Uns macht’s nix aus, dass du ’ne Trickbetrügerin bist.« Seine jamaikanische Herkunft verrät sich mal wieder darin, dass er alle Vokale bis zur Unverständlichkeit in die Länge zieht – bei längeren Gesprächen wird das sehr nerven.
»Eigentlich finden wir’s sogar ganz gut«, präzisiert Regina. »Aber versuch bloß nicht, dein Talent an uns auszuprobieren, klar?«
»Ich habe aufgehört damit.« Ich hebe die linke Hand zum Schwur.
»Warum?«, fragt Noah.
»Genau. Du hast gesagt, du wärst zur Betrügerin erzogen worden.« Regina beugt sich vor. »Bist du aus einer Familie von Betrügern?«
»Könnte man so sagen.« Ich fahre mit dem Fingernagel über die gummierte Tischkante. »Ich würde meine Familie am liebsten aus meinem Gedächtnis streichen.«
»Aber ja, wäre das nicht abgefahren? Wir könnten einfach so tun, als ob’s unsere Alten gar nicht gäbe und wir alle uns einfach so selbst erfunden hätten!« Regina zupft an einer Strähne ihres schwarzen Haars, die ihr in die Stirn gefallen ist. »Manchmal bin ich schon fast der Überzeugung, gegen sie zu rebellieren, gibt ihnen mehr Macht, als sie verdienen.«
»Nee, das is’ nich’ gut. Verleugne deine Leute nich’!«, redet Noah mir ins Gewissen. »Wer seine Wurzeln verleugnet, verleugnet seine Seele. Beispiel.« Er deutet auf sich. »Ich war Rasta, als ich noch gelebt hab. Als ich Vampir wurde, is’ das so geblieben.«
»Ich habe immer gedacht, Rastafaris müssten auf den Verzehr von Fleisch verzichten. Wäre Blut da nicht, äh … das Gegenteil von koscher?«
»Ital ist das richtige Wort – vital und natürlich. Du hast aber Recht. Andererseits hat Gott gewollt, dass ich Vampir werd. Also muss ich Blut trinken.«
»Aber er würde sich natürlich nie von dem ernähren, was in Blutbanken übrig bleibt!«, wirft Regina ein. »Denn das ist ja schließlich behandelt.«
Noah nickt einmal. »Ich geb mein Bestes. Denn das is’ alles, was der Herr von uns erwartet.«
»Warum, glaubst du, war es Gottes Wille, dass du ein Vampir geworden bist?«, will ich von Noah
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