Roman eines Schicksallosen (German Edition)
«seschzajn.» Ich wunderte mich und habe dann einen auch gefragt: «Warum?» – «Willst di arbeiten?», hat er darauf gefragt und den irgendwie leeren Blick seiner tiefliegenden, von Falten umgebenen Augen in die meinen gebohrt. Ich sagte: «Natürlich» , denn schließlich war ich deswegen gekommen, wenn ich es recht bedachte. Worauf er mit seiner harten, knochigen gelben Hand meinen Arm nicht nur packte, sondern kräftig schüttelte und dazu sagte: «Seschzajn … verschtajst di? … seschzajn …» Ich sah, er war böse, und dazu schien mir, dass ihm die Sache auch recht wichtig war, und nachdem ich es mit den Jungen in Eile abgesprochen hatte, ging ich, etwas erheitert, darauf ein: Na gut, dann bin ich eben sechzehn. Des weiteren dürften auch – was immer gesagt würde und völlig unabhängig vom tatsächlichen Sachverhalt – keine Geschwister unter uns sein, und ganz besonders, zu meinem großen Erstaunen, keine Zwillinge; vor allem aber: «Jeder arbeiten, nischt ka mide, nischt ka krenk» – so erfuhr ich von ihnen, und zwar während jener zwei, vielleicht nicht einmal zwei Minuten, bevor ich in dem Gedränge von meinem Platz aus die Wagentür erreichte, und dort habe ich dann schließlich einen großen Satz gemacht, an die Sonne und die frische Luft hinaus.
Zuallererst erblickte ich eine weite Ebene, ein riesiges Gelände. Ich war dann auch gleich ein bisschen geblendet von dieser plötzlichen Weite, dem grellen Glanz von Himmel und Ebene, der meine Augen schmerzte. Aber ich hatte gar nicht recht Zeit, mich umzusehen: ringsumher Gewimmel, Lärm, Bruchstücke von Worten und Geschehen, das Hin und Her des Sicheinordnens. Die Frauen – so hörte ich – mussten sich jetzt für kurze Zeit verabschieden, schließlich konnten wir ja nicht unter dem gleichen Dach baden; auf die Alten, Schwachen, die Mütter mit kleinen Kindern sowie die von den Strapazen der Reise Erschöpften warteten hingegen etwas weiter entfernt Autos. Von alldem wurden wir durch weitere Sträflinge in Kenntnis gesetzt. Doch ich bemerkte, dass hier draußen jetzt schon deutsche Soldaten in grüner Mütze, mit grünem Kragen und beredten, richtungsweisenden Armbewegungen auf alles ein Auge hatten: Ich war durch ihren Anblick sogar ein bisschen erleichtert, denn sie wirkten schmuck, gepflegt und als Einzige in diesem ganzen Durcheinander ruhig und fest. Ich hörte dann auch gleich viele der Erwachsenen unter uns mahnen, und darin war ich mit ihnen einverstanden: dass wir uns bemühen sollten, den deutschen Soldaten zur Hand zu gehen, also Fragen und Abschiedsworte kurz zu halten, uns ihnen als vernünftige Menschen und nicht als so ein dahergelaufener Haufen vorzustellen. Vom Weiteren zu berichten ist schwer: Irgendein breiig brodelnder, wirbliger Strom nahm mich auf, strudelte mich hinweg, riss mich mit sich. Hinter mir kreischte fortwährend eine Frauenstimme von einem bestimmten «Täschchen», das, wie sie jemanden wissen ließ, bei ihr geblieben war. Vor mir war eine alte zerzauste Frau im Weg, und ich hörte, wie ein kleiner junger Mann erklärte: «Bitte zu gehorchen, Mama, wir sehen uns ja gleich wieder. Nicht wahr, Herr Offizier », damit wandte er sich mit einem vertraulichen, irgendwie sich auf Erwachsenenart verbündenden Lächeln an einen gerade dort beschäftigten deutschen Soldaten, «wir werden uns bald wieder …» Und schon bin ich auf ein riesiges Geschrei, auf einen verdreckten, aber sonst wie eine Schaufensterpuppe gekleideten kleinen Jungen mit Ringellocken aufmerksam geworden, der sich mit seltsamem Zerren und Rucken von den Händen einer blonden Frau, offensichtlich seiner Mutter, frei zu machen versuchte. «Ich will mit Papa gehen! Ich will mit Papa gehen!», so kreischte, brüllte und krähte er, wobei er mit seinen weißbeschuhten Füßen auf dem weißen Schotter, im weißen Staub lächerlich herumtrampelte und stampfte. Inzwischen bemühte ich mich, mit den Jungen Schritt zu halten und «Rosis» hin und wieder ertönenden Rufen und Signalen zu folgen – während ein stattliches Weib in geblümtem, ärmellosem Sommerkleid sich an uns allen vorbeidrängte, in die Richtung, wo den Angaben nach die Autos standen. Dann wurde eine Zeit lang ein ganz kleiner alter Herr mit schwarzem Hut und schwarzer Krawatte vor mir herumgewirbelt, herumgeschubst und mitgerissen, während er mit suchendem Gesicht umherspähte und hin und wieder ausrief: «Ilonka! Meine kleine Ilonka!» Dann wieder ein großgewachsener Mann mit
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