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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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klaren Stimme, die den gebildeten Menschen verriet: «Wie alt bist du?» – aber irgendwie nur so nebenbei. Ich sagte: «Sechzehn . » Er hat leicht genickt, aber es schien eher deswegen zu sein, weil es die richtige Antwort, und nicht, weil es die Wahrheit war – jedenfalls ist es mir in der Eile so vorgekommen. Ich habe auch noch eine andere Beobachtung gemacht, oder eher eine flüchtige, vielleicht auch falsche Wahrnehmung – als hätte er irgendwie zufrieden, ja fast schon erleichtert gewirkt; mir schien, ich gefiel ihm irgendwie. Dann schob er mich weg, mit der einen Hand noch auf meinem Gesicht, während er mir mit der anderen die Richtung wies, auf die andere Seite der Straße, zu den Tauglichen. Die Jungen erwarteten mich schon triumphierend, vor Freude lachend. Und beim Anblick dieser strahlenden Gesichter war es vielleicht, dass ich den Unterschied verstand, welcher unsere Gruppe von denen auf der anderen Seite wirklich trennte: Es war der Erfolg, wenn ich es richtig empfand.
    So habe ich mir dann das Hemd wieder angezogen und mit den Jungen ein paar Worte gewechselt und dann wieder gewartet. Von hier aus konnte ich jetzt alles, was am anderen Ende der Straße ablief, aus einem neuen Blickwinkel sehen. Der Menschenstrom wälzte sich unablässig heran, zwängte sich in ein engeres Bett, beschleunigte sich und verzweigte sich dann vor dem Arzt. Auch die Jungen trafen einer nach dem anderen ein, und jetzt nahm auch ich schon an ihrem Empfang teil, versteht sich. Etwas weiter weg erblickte ich eine andere Kolonne: die der Frauen. Auch um sie herum Soldaten, Sträflinge, auch vor ihnen ein Arzt, und auch dort lief alles genauso ab, außer dass sie sich oben nicht ausziehen mussten, und das war ja natürlich auch verständlich, wenn ich es richtig bedachte. Alles war in Bewegung, alles funktionierte, jeder war an seinem Platz und machte das Seine, alles exakt, heiter, wie geschmiert. Auf vielen Gesichtern sah ich ein Lächeln, ob eher bescheiden oder eher selbstsicher, den Zweifel ausschließend oder das Ergebnis schon vorausahnend – es war im Grunde eigentlich doch immer das gleiche, das gleiche etwa, das auch ich zuvor auf meinem Gesicht gespürt hatte. Mit ebendiesem Lächeln wandte sich dort eine braunhaarige, von hier aus sehr schön aussehende Frau mit Ohrringen, die sich den weißen Regenmantel über der Brust zusammenhielt, fragend an einen Soldaten, und mit dem gleichen Lächeln trat hier ein gutaussehender schwarzhaariger Mann vor den Arzt: tauglich. Ich habe der Arbeit des Arztes dann auch bald folgen können. Kam ein alter Mann – ganz klar: auf die andere Seite. Ein jüngerer – hier herüber, zu uns: Dann wieder ein anderer, mit Bauch, soviel er sich auch streckte und reckte: vergeblich – doch nein, der Arzt schickte ihn dennoch auf unsere Seite, da war ich nicht ganz zufrieden, denn ich meinerseits fand ihn eher etwas betagt. Ich musste auch feststellen, dass die Männer zum größten Teil sehr stoppelbärtig waren und nicht gerade einen guten Eindruck machten. Und so, mit den Augen des Arztes, konnte ich nicht umhin, festzustellen, wie viele von ihnen alt oder sonst wie unbrauchbar waren. Einer zu mager, der andere zu dick, und einen, der nach Art eines schnüffelnden Hasen fortwährend Mund und Nase verzog, befand ich als nervenkrank – obwohl auch er pflichtbewusst und bereitwillig lächelte, als er mit eifrigen und merkwürdig watschelnden Schritten hinübereilte, zu den Untauglichen. Dann wieder ein anderer – die Jacke, das Hemd schon über dem Arm, die Hosenträger über die Oberschenkel heruntergelassen, sodass man seine schlaffe, da und dort bereits herabhängende Haut gut sehen konnte. Wie er aber vor den Arzt hintrat – der ihn natürlich gleich zu den Untauglichen einwies –, da hat ein bestimmter Ausdruck auf diesem vom Bart überwucherten Gesicht, das gleiche, mir aber doch irgendwie vertrautere Lächeln auf diesen trockenen, gesprungenen Lippen meine Erinnerung in Gang gesetzt: Als habe er dem Arzt noch etwas sagen wollen, so schien es mir. Bloß achtete dieser nicht mehr auf ihn, sondern schon auf den nächsten, und da riss eine Hand, vermutlich dieselbe, die zuvor schon Moskovics gepackt hatte, auch ihn aus dem Weg. Er machte eine Bewegung, drehte sich um, einen verblüfften und empörten Ausdruck auf dem Gesicht: tatsächlich, der «Experte», ich hatte mich nicht getäuscht.
    Dann haben wir noch ein paar Minuten gewartet. Vor dem Arzt standen noch ziemlich viele;

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