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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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knochigem Gesicht und eine Frau mit langem schwarzem Haar, die sich eng aneinanderschmiegten, mit dem Gesicht, den Lippen, dem ganzen Körper, und damit alle verärgerten, bis dann endlich die Frau – oder eher noch das Mädchen – durch das unablässige Anrennen des Stroms schließlich doch abgetrennt, weggeschwemmt und verschluckt wurde, obwohl ich sie hin und wieder auch noch von weiter weg sich angestrengt herausrecken und mit einer ausladenden Bewegung zum Abschied winken sah.
    All diese Bilder, Stimmen und Begebenheiten haben mich einigermaßen verwirrt und schwindlig gemacht, in diesem sich am Ende zu einem einzigen Eindruck vermengenden, seltsamen, bunten, verrückten Wirbel; andere, möglicherweise wichtigere Dinge konnte ich deshalb weniger aufmerksam verfolgen. So wüsste ich nicht recht zu sagen: Lag es an uns, an den Soldaten, an den Sträflingen oder war es das Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengung, dass sich schließlich doch eine lange Menschenkolonne ergab, jetzt schon aus lauter Männern, schon aus geordneten Fünferreihen bestehend, die sich um mich herum und mit mir langsam, aber nun doch gleichmäßig, Schritt für Schritt vorwärts bewegte? Dort vorn – so wurde erneut bekräftigt – erwartete uns das Bad, doch zuvor – wie ich erfuhr – noch eine ärztliche Untersuchung. Es wurde gesagt, und ich selbst verstand das natürlich ohne weiteres, dass es sich um so etwas wie eine Musterung, eine Art Tauglichkeitsprüfung handle, im Hinblick auf die Arbeit ganz offensichtlich.
    Bis dahin konnte ich mich ein bisschen verschnaufen. Hin und wieder riefen oder winkten die Jungen, die neben, vor und hinter mir gingen, und ich einander zu: Da bin ich, alles in Ordnung. Es war heiß. Ich konnte mich auch ein wenig umschauen, mich ein bisschen darüber orientieren, wo wir eigentlich waren. Der Bahnhof war hübsch. Unter unseren Füßen der an solchen Orten übliche Schotter, etwas entfernter ein Rasenstreifen, gelbe Blumen darauf, eine sich im Unendlichen verlierende, makellos weiße Asphaltstraße. Ich habe auch bemerkt, dass diese Straße von dem dahinter beginnenden, unüberblickbaren Gelände durch eine Reihe gleichmäßig gebogener Pfeiler mit metallisch glänzendem, stacheligem Draht dazwischen abgetrennt war. Es fiel mir leicht zu erraten: Dort wohnten also offensichtlich die Sträflinge. Jetzt zum ersten Mal – vielleicht, weil ich zum ersten Mal dafür Zeit hatte – begannen sie mich etwas mehr zu interessieren, und ich hätte gerne ihre Vergehen gekannt.
    Das Ausmaß, die Ausdehnung dieser ganzen Ebene hat mich erneut überrascht, als ich mich umschaute. Obwohl ich – unter den vielen Menschen und in diesem gleißenden Licht – kein so genaues Bild davon gewinnen konnte: kaum dass ich in der Ferne irgendwelche sich am Boden duckende Bauten, da und dort ein paar Gerüste, die wie Hochsitze aussahen, ein paar Ecken, Türme, Schornsteine ausmachen konnte. Um mich herum wiesen ein paar Erwachsene und Jungen auf irgendetwas in der Luft hin – einen länglichen, unbewegten, kalt glänzenden Körper, hineingebohrt in den weißen Dunst des wolkenlosen, aber doch eher fahlen Himmels. Es war ein Zeppelin, tatsächlich. In meiner Umgebung einigte man sich auf die Erklärung, es handle sich um Fliegerabwehr: Mir fiel auch der frühmorgendliche Sirenenklang wieder ein. Dabei konnte ich aber an den deutschen Soldaten um uns herum nicht die geringste Spur von Verwirrung oder Angst entdecken. Ich dachte an den Schrecken, der in solchen Momenten zu Hause herrschte, und diese verächtliche Ruhe, diese Ungerührtheit ließen mich auf einmal jene Art von Respekt verstehen, mit der man zu Hause allgemein von den Deutschen gesprochen hatte. Auch sind mir erst jetzt zwei blitzförmige Striche an ihren Kragen aufgefallen. Ich konnte also feststellen, dass sie zu der berühmten Truppe der SSler gehörten, von der ich zu Hause schon viel gehört hatte. Ich darf sagen, dass ich sie überhaupt nicht gefährlich fand: Sie schritten gemütlich die ganze Länge der Kolonne auf und ab, beantworteten Fragen, nickten, klopften einigen von uns herzlich auf den Rücken oder die Schultern.
    Ich habe noch etwas beobachtet, in diesen Minuten untätigen Wartens. Ich hatte auch schon zu Hause oft deutsche Soldaten gesehen, versteht sich. Da aber waren sie immer in Eile gewesen, immer mit beschäftigter Miene, immer in einwandfreiem Aufzug. Hier nun bewegten sie sich anders, nachlässiger, irgendwie – das habe ich beobachtet

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