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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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– heimischer. Ich habe sogar ganz kleine Unregelmäßigkeiten feststellen können, Mützen, Stiefel und Uniformen, die mal schlaffer, mal steifer, mal mehr geputzt und mal nur so zur Arbeit getragen waren. Jeder hatte ein Gewehr an der Seite, und das war ja ganz natürlich, schließlich waren es Soldaten, versteht sich. Doch wie ich sah, trugen viele darüber hinaus auch noch einen Stock in der Hand, so einen gewöhnlichen Spazierstock mit abgebogenem Ende, und das überraschte mich etwas, da sie doch alle Männer im Vollbesitz ihrer Kräfte und ihrer Fortbewegungsfähigkeit waren. Dann aber habe ich diesen Gegenstand genauer, von näherem in Augenschein nehmen können. Es hatte mich nämlich stutzig gemacht, dass einer etwas weiter vorn, der mir den Rücken halb zudrehte, das Ding auf einmal waagerecht hinter die Hüften nahm, es an beiden Enden festhielt und mit gelangweilten Bewegungen auf und ab zu biegen begann. Ich rückte ihm, mit der Kolonne zusammen, immer näher. Und da erst habe ich gesehen, dass der Gegenstand nicht aus Holz, sondern aus Leder, und kein Stock, sondern eine Peitsche war. Das war ein etwas komisches Gefühl – aber schließlich konnte ich kein Beispiel dafür erblicken, dass man sie benutzte, nun, und dann waren ja auch ringsum die vielen Sträflinge, das sah ich ein.
    Zwischendurch vernahm ich, auch wenn ich sie kaum beachtete, verschiedene Aufrufe, so wurden zum Beispiel – erinnere ich – Fachkräfte auf dem Gebiet der Maschinenschlosserei gebeten herauszutreten, andere Male waren es Zwillingsgeschwister, die gesucht wurden, körperlich Versehrte, ja sogar, zur allgemeinen Belustigung, Zwerge, falls solche unter uns wären, und dann auch Kinder, denn diese – so hieß es – erwarte eine besondere Behandlung, nämlich Schule statt Arbeit und allerlei Vergünstigungen. Ein paar Erwachsene in unserer Reihe haben uns ermuntert, uns diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Aber ich hatte noch die Mahnung der Sträflinge im Ohr, nun ja, und im Übrigen hatte ich natürlich eher Lust, zu arbeiten als nach Art von Kindern zu leben.
    Doch mittlerweile waren wir schon ein rechtes Stück weitergerückt. Ich bemerkte, dass sich die Soldaten und Sträflinge um uns herum sehr vermehrt hatten. An einem bestimmten Punkt verwandelte sich unsere Fünferreihe in einen Gänsemarsch. Gleichzeitig wurden wir aufgerufen, Jacken und Hemden abzulegen, um mit nacktem Oberkörper vor den Arzt zu treten. Auch das Tempo, so spürte ich, beschleunigte sich. Und dann sah ich auch schon dort vorn zwei Gruppen von Menschen. Eine größere und recht gemischte Gesellschaft versammelte sich zur Rechten, und eine kleinere und irgendwie wohlgefälligere, in der ich zudem auch schon ein paar von den Jungen erblickte, zur Linken. Diese Letzteren schienen – zumindest in meinen Augen – die Tauglichen zu sein. Unterdessen war ich, und zwar immer schneller, direkt dorthin unterwegs, wo im Durcheinander der vielen sich bewegenden, hin und her laufenden Gestalten jetzt schon ein fester Punkt aufschimmerte, eine makellose Uniform mit der steil aufstrebenden, geschwungenen Tellermütze der deutschen Offiziere; dann überraschte mich nur noch, wie schnell die Reihe an mir war.
    Die Untersuchung selbst kann im Übrigen nicht mehr als etwa zwei, drei Sekunden (annähernd) gedauert haben. Gerade war vor mir noch Moskovics an die Reihe gekommen – ihn hatte der Arzt sofort, mit gestrecktem Zeigefinger, in die andere Richtung gewiesen. Ich hörte noch, wie Moskovics zu erklären versuchte: «Arbeiten … sechzehn … » – aber von irgendwoher packte ihn eine Hand, und schon hatte ich seinen Platz eingenommen. Mich, so sah ich, betrachtete der Arzt schon gründlicher, mit einem abwägenden, ernsten und aufmerksamen Blick. Ich habe mich dann auch aufgerichtet, um ihm meinen Brustkasten zu zeigen, und – so erinnere ich – sogar etwas lächeln müssen, als ich so nach Moskovics drankam. Zu dem Arzt hatte ich auch gleich Vertrauen, weil er von angenehmer Erscheinung war und ein sympathisches langes, glattrasiertes Gesicht hatte, eher schmale Lippen und blaue oder graue, auf jeden Fall helle, gütig blickende Augen. Ich konnte ihn mir gut anschauen, während er, seine behandschuhte Hand beidseits auf meine Wangen stützend, mir mit dem Daumen die Haut unter den Augen ein bisschen herunterzog – geradeso, mit dem gleichen Handgriff, wie ich es von den Ärzten zu Hause kannte. Gleichzeitig fragte er mich mit einer leisen, aber

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