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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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völligen Überblick gewinnen, konnte verfolgen, gewissermaßen herbeibeschwören, was sich im Lager alles ereignete, seine ganzen Farben, Gerüche, seinen Geschmack, das ganze Kommen und Gehen, die kleineren und größeren Geschehnisse von der ersten Morgenröte bis zum späten Feierabend und manchmal noch darüber hinaus. So etwa ertönt das «Friseure zum Bad, Friseure zum Bad» mehrmals täglich, und das immer öfter, und die Sache ist klar: Ein neuer Transport ist eingetroffen. Dazu kommt ebenso oft «Leichenkommando zum Tor» ; und wenn da noch um Nachschub gebeten wird, so kann ich auf den Bestand, die Beschaffenheit dieses Transports schließen. Ich habe erfahren können, dass bei solcher Gelegenheit auch die «Effekten» , das heißt die Arbeiter im Kleidermagazin, zu den Garderoben zu eilen haben, und zwar zuweilen «im Laufschritt» . Wenn jedoch zwei oder vier «Leichenträger» verlangt werden, sagen wir «mit einem» oder «mit zwei Tragbetten sofort zum Tor!» ,so kann man gewiss sein, dass diesmal irgendwo ein besonderes Unglück passiert ist, bei der Arbeit, beim Verhör, im Keller, auf dem Dachboden, wer weiß, wo. Ich habe erfahren, dass das «Kartoffelschäler-Kommando» nicht nur tagsüber arbeitet, sondern auch eine «Nachtschicht» hat, und noch vieles andere mehr. Doch jeden Nachmittag ertönte immer um die gleiche Stunde eine rätselhafte Botschaft: «Ellä zwo, Ellä zwo, aufmarschieren lassen!» – und darüber habe ich mir anfänglich viel den Kopf zerbrochen. Dabei war es leicht, aber es brauchte seine Zeit, bis ich aufgrund der irgendwie feierlichen großen Stille, die darauf folgte, aufgrund der Befehle «Mützen ab!» , «Mützen auf!» ,aufgrund der dünn zirpenden Musik, die hin und wieder auch zu hören war, das Rätsel lösen konnte: Draußen steht also das Lager beim Appell, «Ellä» heißt ganz offensichtlich L. Ä., also Lagerältester, und das «zwo» bedeutet demnach, dass in Buchenwald zwei Lagerälteste im Amt sind, ein erster und ein zweiter – kein Wunder, wenn ich es bedenke, in einem Lager, wo inzwischen längst die Neunzigtausender-Nummer ausgehändigt worden ist, wie es heißt. Dann wird es allmählich auch in unserem Zimmer still, auch Zbischek ist schon gegangen, falls sein Besuch fällig gewesen ist, und Pjetka wirft noch einen letzten Blick in die Runde, bevor er mit dem gewohnten «dobra noc» das Licht löscht. Da suche ich mir die bequemste Lage, die mein Bett bieten kann und meine Wunden erlauben, ziehe mir die Decke über die Ohren, und schon übermannt mich sorgloser Schlaf: Nein, mehr kann ich mir nicht wünschen, zu mehr kann ich es – das muss ich zugeben – in einem Konzentrationslager nicht bringen.
    Zwei Dinge nur erfüllen mich mit Besorgnis. Das eine sind meine Wunden: Sie sind da, niemand kann das bestreiten, ringsum noch feuerrot, das Fleisch noch roh, doch ganz außen bildet sich schon ein dünnes Häutchen, da und dort bräunlicher Schorf, der Arzt stopft sie nicht mehr mit Gaze aus, lässt mich auch kaum noch zur Behandlung holen, und wenn doch, dann sind wir in beunruhigend kurzer Zeit fertig, und seine Miene ist dabei beunruhigend zufrieden. Das andere ist ein im Grunde sehr erfreuliches Ereignis, zweifellos, das kann ich nicht bestreiten. Wenn zum Beispiel Pjetka und Zbischek plötzlich, mit gespannter Miene in die Ferne horchend, ihren Meinungsaustausch unterbrechen und mit erhobenem Zeigefinger auch von uns Ruhe verlangen, dann vernimmt auch mein Ohr ein dumpfes Grollen, dazu hin und wieder abgehackte, fernem Hundegebell ähnliche Töne, in der Tat. Auch drüben, wo ich jenseits der Trennwand das Zimmer von Bohusch vermute, geht es neuerdings sehr lebhaft zu, den Stimmen nach zu urteilen, die noch lange nach Lichtlöschen herüberdringen. Der wiederholte Sirenenklang ist jetzt schon üblicher Bestandteil des Tages, und es ist etwas Gewohntes, dass ich nachts erwache, weil die Sprechanlage verfügt: «Krematorium ausmachen!» ,dann eine Minute später, aber jetzt schon gereizt schnarrend: «Khematohium! Sofoht ausmachn!» – was mir sagt: Es ist keineswegs erwünscht, dass der ungelegene Feuerschein womöglich die Flugzeuge anlockt. Wann die Friseure schlafen, weiß ich auch nicht, wie ich höre, kann man neuerdings zwei, drei Tage lang nackt vor dem Bad herumstehen, bis man als Neuankömmling an die Reihe kommt, und auch das Leichenkommando hat – so höre ich – ununterbrochen alle Hände voll zu tun. In unserem Zimmer ist kein

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