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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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Freunde, willkommen zu diesem Friedenskonzert!‹«
    Unten glucksten die Leute. Mich einfach dumm zu stellen schien zu funktionieren, also machte ich weiter. »Und wahrscheinlich hat er auch gesagt: ›Als Hausherr dieser Veranstaltung ist es mir eine Ehre, Sie hier bei uns zu Gast zu haben. Damit es zwischen unseren beiden Ländern nie wieder zu einem Krieg kommt, ist es ungeheuer wichtig, dass wir eng zusammenarbeiten.‹« Ich redete einfach, was mir gerade in den Sinn kam, und die Zuschauer lachten und klatschten. Den Bürgermeister sah ich auf seinem Stuhl kleiner und kleiner werden. Direkt an ihn gewandt sagte ich: »Leider sind aber nicht alle Politiker so wie Sie. Es gibt auch solche, die um ihrer Karriere willen sogar einen Krieg vom Zaun brechen würden und nur immer Hass säen wollen.« Als Lachen und Applaus ihren Höhepunkt erreichten, gab ich dem Mann den Gnadenstoß: »Verehrter Herr Bürgermeister, das, was Sie für uns empfinden, empfinden wir in doppeltem Maße für Sie!«
    Als danach Mikis und ich Plaketten in Form des für Kalymnos typischen Naturschwamms überreicht bekamen, war die Plakette von Mikis fast dreimal so groß wie die meine. Ich deutete zum Vergleich auf die beiden Plaketten und sagte: »Dahinter steckt bestimmt keine böse Absicht des Herrn Bürgermeisters. Er hat sie einfach unserer Körpergröße angepasst.« Wieder lachten die Leute.
    Was ich mit Mikis alles erlebt habe, könnte ein ganzes Buch füllen. Am dramatischsten aber war der Tag, als wir für die Opfer des großen Erdbebens im türkischen Izmit 1999 ein Hilfskonzert in Athen geben wollten und kurz vor der Veranstaltung selbst von einem Erdbeben erwischt wurden und rings herum Gebäude einstürzen sahen. Wir kamen unverletzt davon und konnten das Konzert später sogar noch an einem anderen Ort durchführen.

 
    A   ls ich auf Einladung von Tschingis Aitmatow am 10. Oktober 1986 mit Yaşar Kemal in Istanbul eine Maschine der Aeroflot bestieg, ahnte ich noch nicht, welche Bedeutung das Treffen, zu dem wir flogen, haben würde. Schon im Flugzeug selbst wunderten wir uns über die Aufmerksamkeit, die uns zuteil wurde. Am Moskauer Flughafen wurden wir als VIP behandelt, und Passkontrolleure bekamen wir die ganze Reise über nicht zu Gesicht. Alles wurde immer erledigt, während wir gerade Kaffee tranken, und das in Istanbul aufgegebene Gepäck fanden wir in unseren Hotelzimmern wieder.
    Am Flughafen empfingen uns Yaşar Kemals Übersetzerin Vera Feonova und Beamte des sowjetischen Außenministeriums. Als auf der Fahrt ins Hotel zwei Limousinen in der Gegenrichtung an uns vorbeifuhren, sagte der Beamte neben mir: »Das ist Generalsekretär Gorbatschow auf dem Weg nach Reykjavik.«
    Die größte Überraschung aber erwartete uns im Hotel Sowjetskaya, denn dort bekamen Yaşar Kemal und ich je eine Suite mit nicht weniger als fünf Zimmern und zwei Bädern. Jetzt begriff ich, warum der Beamte unterwegs gesagt hatte: »In Ihrer Suite können Sie Klavier spielen, aber auch Fußball«, denn in einem der für das 19. Jahrhundert typischen hohen Räume stand tatsächlich ein Klavier. Wir bekamen auch einen Wagen mit Fahrer sowie je einen Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Beim Abendessen im Hotel bestellte Yaşar Kemal, der die Gepflogenheiten schon kannte, in Anspielung auf ein russisches Sprichwort »Schwarzen Kaviar und weißes Brot«, worauf die Russen lachten.
    Am folgenden Tag spazierte ich in Moskau herum. Mich erinnerte die Stadt (abgesehen von der Größe) an Stockholm; anscheinend war für den allgemeinen Eindruck das Klima entscheidender als die Ideologie. Unter dem bedeckten Herbsthimmel erweckten beide Städte mit ihren gelblichen Gebäuden und ihren ordentlichen Straßen eine ganz besondere nordische Melancholie.
    Die Touristen, die in der Warteschlange vor dem Lenin-Mausoleum am Roten Platz lachten und scherzten, verfielen beim Betreten der Anlage in andächtiges Schweigen, sowohl wegen der Anweisungen des Wachpersonals als auch unter dem Eindruck des Ortes, doch kaum waren sie wieder draußen, knüpften sie nahtlos an ihre vorherigen Gespräche an.
    Das Mittagessen nahmen wir beim sowjetischen Schriftstellerverband ein, in einem Gebäude, in dem Tolstoi angeblich das Mädchen kennenlernte, das ihn zur Natascha aus Krieg und Frieden inspirierte.
    Am meisten imponierten mir in Moskau wohl die Statuen, denn sie stellten nicht etwa Staatsmänner dar, sondern große Künstler. Die Gorki-Statue in der (inzwischen

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