Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
wenigstens zwei seiner Lieder selbst zu interpretieren, wozu er sich überraschend schnell bereit erklärte. Wir vereinbarten, die Aufnahmen in Athen zu machen, und reservierten ein Studio bei Polysound. Ich würde aus Istanbul die Playback-Bänder mitbringen, die mit einem Rekorder mit 24 Spuren aufgenommen waren. Das erschien uns damals als ein Wunder der Technologie, während heute dergleichen auf einer Computerdiskette Platz hat oder sogar per E-Mail geschickt werden kann.
Am Abend vor meinem erneuten Abflug nach Athen klingelte das Telefon, und am Apparat war ein krächzender, kaum verständlicher Mikis. Er hatte sich schwer verkühlt, so dass wir die Aufnahmen um mehrere Wochen verschieben mussten. Als es dann so weit war, hatte Mikis einen anderen Grund, verschnupft zu sein. Er rief: »Mir reicht’s! Ich ziehe ganz in meine Pariser Wohnung und setze keinen Fuß mehr nach Griechenland.« Dabei hielt er ein griechisches Wochenmagazin hoch, in dem er diesen Entschluss schon verkündet hatte.
Derart verärgert hatte ihn eine kurz davor veröffentlichte Umfrage, laut der seine Musik dem griechischen Volk angeblich kaum etwas bedeutete. Dabei war er doch der große Liebling der Griechen! Aber Neid und Missgunst waren eben auch dort am Werk.
E s war eine Freude, mit Mikis zusammenzuarbeiten. Die längsten und kompliziertesten Melodien spielte er auf seiner Bouzouki so sicher, dass sie schon bei der ersten Aufnahme saßen. Beim Spielen steckte zwischen dem kleinen und dem Ringfinger in bester südländischer Manier immer eine Zigarette, die er auch dann nicht aus der Hand legte, wenn die rote Aufnahmelampe aufleuchtete.
Abends streiften wir durch die Athener Gässchen und gingen in Kneipen, in denen der Retsina mit Kupferlöffeln aus Fässern geschöpft wurde. Mikis hatte schon so vieles erlebt und war mittlerweile zum Tagesgeschehen auf Abstand bedacht. Sein Leben lang hatte er mit totalitären Regimen zu kämpfen. Es war ihm ergangen wie so manchem Künstler auf der Welt: Um gegen ein unterdrückerisches System Widerstand zu leisten, hatte er sich einer politischen Gruppe angeschlossen, diese aber später wieder verlassen, als er sah, wie unterdrückerisch sie selbst geworden war. Im Kampf gegen die Nazis erschien es ihm angebracht, sich mit den Kommunisten zusammenzutun, doch konnte er sich weder mit dem Gebaren kommunistischer Länder im Allgemeinen noch mit der Kommunistischen Partei Griechenlands im Besonderen richtig anfreunden, so dass er zu dieser eher eine Hassliebe pflegte.
Ihm widerstrebten Ungerechtigkeiten, wo immer sie auch auftraten, und das brachte ihn mit der Partei in Konflikt. Das führte zu einer Haltung, die engagierten Künstlern oft als Unzuverlässigkeit vorgeworfen wird. Parteidisziplin war ihm ein Fremdwort.
André Gide war als Kommunist in die Sowjetunion gereist und als Antikommunist zurückgekehrt und hatte sich dann nicht gescheut, seine Einsichten publik zu machen, da seine intellektuelle Redlichkeit dies nun mal erforderte. Ähnlich hatte Arthur Koestler gehandelt. Als Yves Montand vom Einmarsch der Sowjets in Prag hörte, verlangte er, die Kommunistische Partei Frankreichs, der er sich verbunden fühlte, solle unverzüglich gegen diese Besetzung protestieren, sonst werde er zusammen mit seiner Frau Simone Signoret noch am gleichen Abend Selbstmord begehen.
Als Künstler, der – anstatt Intrigen zu spinnen – aufrichtig seine Meinung sagt und noch dazu mit seiner Musik internationalen Erfolg einheimst, hat Mikis sich in gewissen Kreisen natürlich keine Freunde gemacht. Wenn ich mit griechischen Intellektuellen spreche und dabei sein Name fällt, lese ich oft genug an ihrem geringschätzigen Lächeln ab, dass sie wohl denken: »Ach, dieser wankelmütige Ehrgeizling!« Mich kümmert das nicht weiter, denn ich weiß ja, dass er aus anderem Stoff ist als sie. Wie Baudelaires Albatros ist Mikis jemand, der in der Luft »gelassen um die Schiffe fliegt«, während am Boden »Riesenschwingen seinen Gang behindern«.
Nach Beendigung der Aufnahmen kehrte ich in die Türkei zurück. Mikis gefiel die Platte, nur haderte er scherzhaft mit den von ihm gesungenen Liedern. In der Türkei schlug das Album auf Anhieb ein, und unter dem Titel Mikis Theodorakis – Zülfü Livaneli / Together kam es bald auch in Deutschland heraus. Zur Verleihung einer Goldenen Schallplatte lud ich Mikis, der noch nie in der Türkei gewesen war und das Land nur einmal von einem Schiff aus gesehen hatte,
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