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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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können. Doch Fred Srp meinte, wir sollten den Film überhaupt nicht nach Cannes schicken. »Nach Venedig würde er besser passen.« Ich erwiderte nur, die Entscheidung werde vom Produzenten getroffen, also von Wim.
    Fred Srp war der Cutter der Sissi -Filme gewesen und jener Zeit anscheinend immer noch verhaftet. Am Schneidetisch murmelte er allerhand vor sich hin und wusste oft nicht, was wohin sollte. Im Grunde genommen besorgten Bettina und ich den Schnitt.
    Bevor wir das mit ihm besprechen konnten, löste sich das Problem auf tragische Weise. Fred brach nämlich am Schneidetisch zusammen und rührte sich nicht mehr. »Herr Srp!«, rief ich mehrfach und rüttelte ihn an der Schulter.
    Er war tot. Der arme Fred Srp hatte mitten in der Arbeit und vielleicht in glücklicher Erinnerung an die Tage mit Romy Schneider sein Leben beendet. An einem verregneten Tag trugen wir ihn in Berlin zu Grabe.
    Anstatt einen neuen Cutter zu suchen, arbeitete ich lieber mit Bettina weiter.
    Der Rohschnitt wurde dann an Gilles Jacob geschickt, der sich allerdings ohne Ton und Untertitel schwertun würde, etwas von dem Film zu verstehen. Ein paar Tage darauf lud Wim Ülker und mich abends in sein Büro in der Potsdamer Straße. Er hatte zwei Flaschen Champagner kalt gestellt. »Für den Fall, dass es was zu feiern gibt.«
    Schließlich rief Gilles Jacob an, und als Wim wieder auflegte, sagte er: »Der Film hat ihm gefallen, aber dieses Jahr ist die Konkurrenz so groß, dass er uns lieber in die Sektion ›Un certain regard‹ steckt, also außerhalb des Wettbewerbs.«
    Das war zwar nicht die Ideallösung, aber immerhin gehörten wir damit zur »Sélection officielle« des Festivals und konnten uns damit der Welt präsentieren. So tranken wir den Champagner und versuchten, uns gegenseitig unsere Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
    Eine weitere Überraschung erwartete mich, als Wim Wenders eines Tages die Bedingungen unserer Geschäftspartnerschaft verändern und seinen eigenen Anteil am Film erhöhen wollte. Dabei hatte er bis dahin keinerlei Auslagen gehabt, während wir uns sogar verschuldet und Kredite zurückzuzahlen hatten. So wehrten wir uns gegen dieses Ansinnen und brachten Wim damit gegen uns auf.
    Inzwischen komponierte ich die wie eine Orchestersuite angelegte Filmmusik und nahm sie auf. Im Mai kam Yaşar Kemal nach Paris, und zusammen mit Ülker flogen wir nach Cannes. Im Flugzeug von Paris nach Nizza amüsierten wir uns köstlich. Eisenerde, Kupferhimmel gehörte zu den aussichtsreichen Kandidaten für die an Erstlingsfilme verliehene Goldene Kamera, und so feilten wir im Scherz an einem dramatischen Gedicht, mit dem die Jury zu beeindrucken wäre. Es waren lauter reichlich alberne Verse, aber Yaşar Kemal belachte sie so dröhnend, dass eine hinter uns sitzende Dame mich schließlich mit sympathischer Anteilnahme fragte: »Ist der Herr Russe?« Als ich antwortete: »Nein, Türke!«, verzog sie augenblicklich das Gesicht.
    Am Flughafen wurden wir von einem livrierten Chauffeur abgeholt und in einer schwarzen Limousine nach Cannes kutschiert. Zu beiden Seiten des Autos wehten die Wimpel des Festivals. Wir ernteten viele neugiere Blicke, aber wenn die Leute merkten, dass da keine Stars hinter den Scheiben saßen, wandten sie sich enttäuscht wieder ab. Ich weiß selbst nicht warum, aber wir lachten an dem Tag Tränen. Yaşar Kemal sagte:
    »Seit Ewigkeiten schreibe ich Romane, aber so bin ich noch nie hofiert worden. Filmemacher hätte ich werden sollen!«
    »Hast dir eben den falschen Beruf ausgesucht. Und ich Idiot habe bis 40 damit gewartet.«
    In unserem Hotel in Cannes logierten ein paar Bekannte aus der türkischen Filmwelt, die gespannt auf die Vorführung waren. Wir selbst waren an dem Tag denn auch schrecklich aufgeregt. Auf der Festivalbühne über den Film etwas zu sagen fiel mir alles andere als leicht, und fast noch schlimmer war es, danach im Dunkeln dazusitzen und sich vorzustellen, was in den Köpfen der Zuschauer gerade vorging. Der schwerste Moment war: Als das Licht wieder anging, sah ich das zufriedene Gesicht Yaşar Kemals, der den Film zum ersten Mal gesehen hatte. So viel war schon mal gewonnen.
    Bei den französischen Kritikern kam der Film sehr gut an. Ich wurde sogar ausdrücklich gefragt, wie wir die Brueghel-Atmosphäre hinbekommen hätten. In den französischen Zeitungen standen Überschriften wie »Eine Schneeoper« oder »Ein visuelles Gedicht«. Überhaupt war dem Film im Ausland eine weit

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