Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
die Sache mit den Knoten dran war, trat jemand auf mich zu und sagte, die Dorfältesten wollten mich sprechen. Ich vertröstete den Mann auf den Abend, aber er ließ sich nicht abwimmeln, es musste sich also um etwas Wichtiges handeln. Notgedrungen ging ich mit und fand die Dorfältesten versammelt vor. Cemal sah mich finster an und sagte: »Zülfü, wir haben gehört, ihr filmt eine Knotenschnur, stimmt das?«
Als ich bejahte, sagte er in bestimmendem Ton: »Wir möchten euch darum bitten, das zu unterlassen.«
Verdutzt sah ich die Leute an und erklärte ihnen dann, das sei doch nur ein Firlefanz, den ich für den Film erfunden hätte.
»Nein«, bekam ich zur Antwort, »das ist unser heiligstes Eidritual. Macht das nicht mehr!«
Ich sagte es ihnen zu, und wir strichen die Szene dann auch. Später erfuhr ich, was es mit dem Ritual auf sich hatte. Es wurden in eine Schnur sieben Knoten geknüpft, und wenn der betreffende Wunsch in Erfüllung ging, wurden sie einer nach dem anderen wieder gelöst, dabei sprach man jeweils einen armenischen Namen aus, beginnend mit »Ohannes«.
In dem Dorf hatte man früher mit Armeniern zusammengelebt, woran die Ältesten noch gerne zurückdachten. Eines Morgens seien alle Armenier abgeholt worden, und nie wieder habe man von ihnen gehört. Nachdem ich davon erfahren hatte, stellte ich im Dorf meine Nachforschungen an, und eines Tages stieß ich tatsächlich auf eine alte Kirche, die mittlerweile als Scheune genutzt wurde.
Allmählich wurden unsere Dreharbeiten immer mehr vom Wetter beeinträchtigt. Als wir eines Tages planten, eine Szene am nächsten Morgen fertig zu drehen, setzte Südwind ein und ließ den Schnee dahinschmelzen. Wir karrten daraufhin aus geschützteren Lagen Schnee herbei, aber für bestimmte Szenen musste es von neuem schneien, und das blockierte uns tagelang. Die Deutschen zeigten, wie wenig Vertrauen sie in türkische Institutionen hatten, indem sie lieber beim Wetterdienst des amerikanischen Militärstützpunkts in Erzurum nachfragten. Was die behaupteten, traf aber auch nicht immer ein.
Cemal fragte mich: »Was siehst du denn so mürrisch drein? Soll ich dir ein kurdisches Lied vorsingen, um dich aufzuheitern?«
Ich erklärte ihm, dass wir unbedingt Schneefall brauchten, worauf er in ein Sinnen verfiel und schließlich sagte: »Genau kann es natürlich nur Allah wissen, aber meinen Berechnungen zufolge wird es nächsten Freitag schneien.«
Ich vertraute Cemal und verkündete seine Vorhersage bei unserer abendlichen Besprechung. Jürgen und die anderen Deutschen lächelten nur mitleidig.
Am Freitagmorgen wurde ich schon vor Morgengrauen wach und lief zum Fenster: Es schneite in dicken Flocken. Triumphierend rannte ich hinaus und ließ die Vorbereitungen für den Dreh anlaufen. An jenem Abend wurde in den »Dispo« genannten Ablaufplan für den folgenden Tag ein neuer Posten aufgenommen: Cemal nach dem Wetter fragen.
N achdem wir die Dreharbeiten mit Müh und Not beendet hatten, kehrten wir nach Istanbul zurück, allerdings mit dem Zug, da wieder keine Flugzeuge flogen. Das verschneite Anatolien bot einen imponierenden Anblick, und Jürgen und ich nahmen uns vor, auch in der anatolischen Steppe einmal einen Film zu drehen.
Als ich eine Woche darauf in Berlin eintraf, empfing Wim Wenders mich ganz begeistert. Er war sehr angetan von dem Material, das wir uns auf einer großen Leinwand ansahen. Nun brauchten wir einen guten Cutter. Am meisten hielt Wim von Peter Przygodda, aber der war noch mit Der Himmel über Berlin beschäftigt. So schlug Wim mir einen Mann namens Fred Srp vor. »Er kommt gerade aus dem Krankenhaus, deshalb wirkt er etwas alt, aber lass dich davon nicht täuschen, er ist ein guter Cutter.«
Als ich Fred Srp am nächsten Tag kennenlernte, machte er mit seinen zerzausten weißen Haaren und seinem Bart tatsächlich einen greisenhaften Eindruck auf mich, aber ich dachte mir, dass Wim wohl wusste, was er tat. Fred Srp las das Drehbuch und sah sich dann alle unsere »Shots« an. Außer einem fortwährenden »Hm, hm« gab er keine Kommentare dazu ab.
Wir begannen dann in einem Schnittstudio zu arbeiten. Im Nebenraum war Wim mit seinem Film beschäftigt. Fred Srp hatte eine Assistentin namens Bettina Böhler, die einen fähigen Eindruck machte.
Wim wollte den Film unbedingt bis zum Filmfestival in Cannes fertig bekommen, so dass wir uns sehr beeilen mussten, um ihn dem Festivalleiter Gilles Jacob rechtzeitig präsentieren zu
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