Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
stark genug, um die grellen Scheinwerfer der Schlaflosigkeit zum Verlöschen zu bringen; man wird in den Himmel gehoben und in dichte Regenwolken gehüllt.
Die Umwelt geizt nicht mit Ratschlägen. Schlaf mal eine Nacht überhaupt nicht, heißt es etwa, und die nächste auch nicht. Halt durch, so lange du kannst; irgendwann schläfst du dann wie ein Stein. So etwas hört sich recht vernünftig an, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Zum einen verbringt man eine solche Nacht alles andere als ruhig. Man verspürt ein Pochen, das einem direkt aufs Herz drückt. Man wird immer müder und verzagter und sieht alles Negative in seinem Leben wie mit der Lupe vergrößert. Dann denkt man auf höchst unfruchtbare, ja schädliche Weise darüber nach, warum man so viel Schlechtigkeit verdient hat.
Zum anderen muss das Ergebnis dieser Methode die Anstrengungen rechtfertigen. Als ich während eines Urlaubs beschloss, auf Tabletten zu verzichten und meiner Schlaflosigkeit aus eigener Kraft Herr zu werden, blieb ich in der ersten Nacht bis acht Uhr morgens wach. Ich sah fern, dachte über mein Leben nach, sah den Morgen dämmern, das Meer allmählich schaumig weiß werden und die Sonne feurig aufgehen. Um acht Uhr war mir dann lediglich eine halbe Stunde tiefen Schlafes beschert. Am darauffolgenden Abend war ich furchtbar müde, aber nicht weniger entschlossen. Die Nacht verlief ähnlich, und am Morgen konnte ich gegen neun Uhr ein wenig schlafen. In der dritten Nacht war ich so erschöpft, dass ich meinte, mir drängen Glasscherben ins Gehirn, und meine Haare fühlten sich an wie Draht. Wieder konnte ich nicht schlafen, und gegen Morgen hatte ich kleine weiße Pillen in der Hand.
Ü lkers Vater war ein überaus gutaussehender Mann. Er hatte in der heißesten Phase des Koreakriegs als Oberst gedient. Mit fünfzig war er pensioniert worden und hatte sich von seiner Ruhestandsprämie ein Auto gekauft. Um seinen Lebensabend genießen zu können, sah er sich nach einem Haus in Istanbul um. Sein jüngerer Bruder, ebenfalls ein stattlicher Mann, diente noch als Oberst der Artillerie.
Eines Tages rief dieser Bruder Ülker an und teilte ihr mit, er werde sie sofort mit einer Militärmaschine nach Istanbul bringen, denn ihr Vater sei dort schwer erkrankt. Es stellte sich heraus, dass das nur ein Versuch war, Ülker den Tod ihres Vaters möglichst schonend beizubringen. Der Oberst war an Herzversagen gestorben. Ülker hatte ihren Vater innig geliebt und konnte nicht akzeptieren, ihn so früh schon zu verlieren. Kurz darauf starb meine Großmutter Emine an einer Hirnblutung.
Ich glaube seit jeher an das Sprichwort, dass ein Unglück selten allein kommt. Katastrophen ereignen sich in Serie.
Auch meine Eltern waren über den Tod von Ülkers Vater erschüttert. Der Sommer ging gerade zu Ende, und meine Eltern waren von ihrem Urlaub in Marmaris zurückgekehrt. Sie wirkten beide völlig gesund. Vor allem meine Mutter mit ihren gerade 38 Jahren, dem braunen Teint und den von der Sonne gebleichten Haaren sah aus wie in voller Blüte. Eines Tages sagte sie zu Ülker: »Ich habe von deinem Vater geträumt. Wir haben zusammen gegessen, nur wir beide.« Sie habe dafür jene besondere Hühnersuppe gekocht, die sie sonst einmal im Jahr nur für sich selber machte.
Ich war damals in einem Ministerium mit der Herausgabe einer Zeitschrift beschäftigt. Eines Tages erfuhr ich, meine Mutter sei ins Krankenhaus gebracht worden, weil ihr Herz so unregelmäßig geschlagen habe. Die Ärzte hätten harmlose Herzrhythmusstörungen diagnostiziert und sie wieder nach Hause geschickt. Gegen Abend habe sie sich wieder sehr unwohl gefühlt und wieder ins Krankenhaus gewollt, und so habe mein Vater sie ein zweites Mal hingebracht und dort mit ihm bekannten Ärzten gesprochen.
Meine Geschwister und ich fuhren daraufhin zur Wohnung unserer Eltern und warteten auf ihre Rückkehr. Als sich lange nichts tat, fuhren Asım und ich schließlich ins Krankenhaus. An der Pforte fragten wir nach meiner Mutter und warteten dann. Nach einer Weile kam ein Arzt und sagte, er werde uns zu unserem Vater bringen; dabei blickte er uns seltsam mitleidig an. Ich fragte ein paarmal, wie es meiner Mutter ginge, bekam aber keine Antwort. Dennoch argwöhnten wir noch nichts. Der Arzt führte uns in eines der oberen Stockwerke, bat uns in ein Zimmer und schloss die Tür hinter uns. Unsere Mutter war nicht in dem Zimmer, aber unser Vater stand am Fenster und sah hinaus.
»Papa!«,
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