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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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hatten Anteil daran. Dass diese Bewegung einmal gestoppt werden könnte, war uns undenkbar.
    Auch meine Kinoleidenschaft konnte ich in Trabzon weiter ausleben. Nachdem sie in der Richterloge in Amasya begonnen hatte, war ich auch in Ankara ein eifriger Kinogänger gewesen, und in Trabzon ließ ich mir kaum einen Film entgehen, der in der Mittagsvorstellung gezeigt wurde. Vor allem in den Sommerferien war es mir der höchste Genuss, mit einem Sandwich und einer Limonade in dem dunklen Kinosaal zu sitzen. Später kamen noch die Vorführungen im französischen Kulturzentrum dazu, unter anderem eine Gesamtschau der Filme mit Jeanne Moreau. Wie hätte ich da schon ahnen können, dass ich mit Jeanne Moreau, die mir damals so fern vorkam wie der Polarstern, 1999 in Glasgow an einem Tisch sitzen und diskutieren würde?
    Eines Tages erhielt ich einen seltsamen Brief von einem anonymen Absender aus Istanbul, anscheinend einem Mitglied der Direktion von Merck. Es seien zwei Herren vom Geheimdienst gekommen und hätten mit dem Generaldirektor über mich gesprochen. Wegen meiner politischen Aktivitäten sei der Firma dringend nahegelegt worden, mich nicht weiter zu beschäftigen; andernfalls könne es zu Kürzungen bei der Rohstoffzuteilung kommen. Der Schreiber des Briefes wolle mir diesen Sachverhalt ganz einfach mitteilen.
    Ich las den in zittriger Handschrift geschriebenen Brief mehrmals durch. Es war schon seltsam: Zum ersten Mal war der Staat auf mich aufmerksam geworden. Meine Aktivitäten im Schwarzmeerraum und meine Besuche in den Dörfern waren also überaus ernst genommen und sogar als Gefahr für das bestehende System aufgefasst worden. Darauf konnte ich vielleicht sogar stolz sein, aber vor allem spürte ich, dass meine Zeit bei Merck ihrem Ende entgegenging. Die Firma konnte mich vor solch einem Druck nicht beschützen, und warum sollte sie auch?
    Wir setzten uns mit Freunden zusammen, um die Lage zu besprechen, und es kam dabei heraus, dass ich wohl gut daran täte, erst einmal meinen Wehrdienst abzuleisten, um den ich ja ohnehin nicht herumkam. So war ich eine Zeitlang weg von Merck, und es konnte Gras über die Sache wachsen.
    Ich setzte diesen Plan sogleich in die Tat um und schrieb einen Brief an Merck, um mich für die Zeit meines Wehrdienstes beurlauben zu lassen, denn ich hoffte ja doch, danach wieder dort arbeiten zu können.
    Ülker ging inzwischen mit Aylin zu ihrer Mutter nach Istanbul. Da wir nicht wussten, wo wir unsere Sachen so lange unterbringen sollten, verkauften wir kurzerhand alles. Dann machte ich mich auf zur Temeltepe-Kaserne bei Sivas.
    In Sivas verbrachte ich zunächst eine Nacht im Hotel, ließ mich am nächsten Tag rasieren und mir die Haare militärisch kurz schneiden, dann fuhr ich zu dem kahlen, windigen Hügel. Es war Winter, und in Temeltepe war es noch kälter als in dem ohnehin schon kalten Sivas. Temeltepe eilte ein besonderer Ruf voraus, denn früher hatte es lange als Verbannungsort gedient.
    Vor dem Haupttor der Kaserne warteten schon einige in der Kälte. Wie es im gnadenlosen Militärjargon hieß, musste ich mich nun »stellen«.
    Nach einer Weile wurden wir eingelassen und in einen langen Korridor geführt, an dessen einer Seite hinter einem Tresen Regale voller Mützen, Jacken, Schuhe, Hosen und Koppel entlangführten. Während wir durch den Korridor gingen, wurden uns von den Soldaten hinter dem Tresen einzelne Kleidungsstücke zugeworfen. Man griff sich, was gerade geflogen kam, und ging dabei weiter.
    Mir wurde zuerst nicht klar, wie sie einem auf die Schnelle die richtige Größe zuordnen konnten, aber dann merkte ich, dass sie das nicht einmal versuchten. Sie warfen einem zu, was ihnen gerade in die Hände fiel, und wenn man die Sachen dann probierte, schlotterte einem eine fünf Nummern zu große Jacke um die Schultern, während man in die Hose kaum hineinkam. Von den Stiefeln war einer zu groß, einer zu klein, und die Mütze rutschte einem auf die Nase. Schnell aber kam der praktische Sinn durch, der uns Anatoliern eigen ist, und nach vielfachen Tauschgeschäften hatte ein paar Tage später doch jeder einigermaßen passende Kleider am Leib. Das mühsame Herumprobieren der Schuhe hatte aschenputtelhafte Züge an sich, aber die Armee wollte es anscheinend nicht anders.
    Bevor es in den Kasernenhof ging, kamen wir noch durch einen Raum, in dem ein erfindungsreicher Geist dafür gesorgt hatte, dass uns gleich eine erste Lektion beschert wurde. Es hing dort ein großer

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