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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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mir in dem herrlichen Tonfall der Balkantürken, wie sie im Balkankrieg so plötzlich vor den Bulgaren fliehen mussten, dass sie »nicht einmal das Huhn mitnehmen konnten, das im Topf gerade kochte«. Es mussten sich damals große Tragödien abgespielt haben. Zeynep berichtete von Müttern, die vor lauter Hunger und Erschöpfung ihre Babys auf Feldern zurückließen. Die Menschen vermochten sich nur noch am Leben zu halten, indem sie unterwegs sogar Bettler um Brot anflehten. Ihr Bruder jedoch kam auf der Flucht um, und ihr Mann verlor nach einer Granatenexplosion sein Gehör. So erzählte Zeynep, bis wir abends in Samsun übernachteten. Am folgenden Nachmittag stand Trabzon in seiner ganzen Erhabenheit vor uns.
    Die vom Meer aus bis in die Berge hinauf terrassenförmig ansteigende Stadt hat ihren Namen vermutlich von dem griechischen trapeza , was Tisch bedeutet. Mit seinen Überresten aus dem Königreich Pontos und dem architektonischen Erbe der Osmanenzeit hat Trabzon ein ganz eigenes Gepräge. Mir gefiel die Stadt auf Anhieb, und ich war froh, dass wir Ankara hinter uns gelassen hatten. Wir würden in Trabzon ein schönes, unabhängiges und von Geldsorgen befreites Leben führen. Für den Anfang wohnte ich in einem Hotel im Stadtviertel Tekke. Ich war noch nie im Ausland gewesen, fühlte mich aber in Trabzon wie in einem fremden Land. Es roch schon ganz anders. Nach drei Wochen bezog ich in Tekke eine Wohnung mit herrlichem Blick auf das Meer.
    Wie sollten wir ahnen, dass am Ende jener Tage militärische Unterdrückung, Gefängnis und Folter stehen sollten …

 
    J   eden Monat fuhr ich von Ordu bis an die sowjetische Grenze das gesamte östliche Schwarzmeergebiet ab und kannte bald jede Ortschaft, bis hin zu den kleinen Dörfern auf meinem Weg.
    Von den Bergen ging es oft atemberaubend steil hinunter auf das tiefgrüne, schäumende Meer und reizvolle Buchten. Ich kam bis ganz in den Osten, nach Artvin, Yusufeli, Ardanuç, und betrat somit zum ersten Mal den Boden meiner Vorväter. Die Schwarzmeerkultur hatte es mir schon bald angetan. Ich mochte die Menschen, die Natur, das Essen, die Bräuche. Ich war glücklich.
    Sorge bereitete mir lediglich, dass unter all dieser Schönheit auch eine überraschende Gewaltbereitschaft lauerte. Die Menschen vom Schwarzen Meer wechselten zwischen zwei Welten hin und her, und der Übergang von der einen zur anderen konnte sehr plötzlich vor sich gehen.
    Ich besuchte in Trabzon gerne den üppigen Fischmarkt, und als ich eines Abends wieder auf die Markthalle zuging, fiel mir davor ein alter Mann auf, der mit seinem Enkel herumalberte und ihn am Hals kitzelte. Der Junge wand sich und kicherte. Lächelnd betrat ich die Halle, doch kaum war ich drinnen, hörte ich von draußen Schüsse. Alles rannte zur Tür, und zuerst sah ich in dem Durcheinander gar nicht, was los war. Dann aber lagen da vor mir auf dem Beton der alte Mann und sein Enkel. Aus dem Blondschopf des Jungen floss Blut. Dann deckte man Zeitungen über die beiden.
    Überall wurden mir Fälle von Blutrache berichtet. In einigen Bezirken waren die Amtsärzte hauptsächlich mit Obduktionen beschäftigt, weil derart viele Verbrechen begangen wurden. Die Menschen der Region nahmen dieses Blutbad als unabänderliches Schicksal hin, während ich nicht aus dem Staunen herauskam, waren doch damals die türkischen Städte im Allgemeinen recht sicher.
    Nach einer Weile teilte mir die Firma einen Wagen mit Chauffeur zu, und ich war nicht mehr auf den Bus angewiesen. Es war immer ein regelrechtes Fest, wenn ich von einer meiner drei- bis viertägigen Touren zurückkam. Aylin schlief meistens schon. Als Erstes ging ich in ihr Zimmer und sah gerührt, wie sie, von Ülker zu meinem Empfang herausgeputzt, in ihrem Bettchen lag. Ich küsste sie sanft, ohne sie aufzuwecken, und konnte mich an dem Anblick des unschuldigen kleinen Wesens gar nicht sattsehen. Dann hörte ich aus dem Wohnzimmer leises Besteckgeklapper. Mich erwartete ein gedeckter Tisch, ein ruhiger Abend, fern von allen Sorgen. Nach dem Essen lasen wir meist.
    Allmählich gewannen wir in Trabzon Freunde. Einer davon war der Richter Ali Faik Cihan, ein streitbarer Mann, der ein Buch mit dem Titel Eine sozialistische Türkei verfasst hatte, ein damals unerhörter Vorgang. Wohl aus der Befürchtung heraus, Ali Faik Cihan könne anderen Richtern als schlechtes Vorbild dienen, setzte der Staat ihm unentwegt zu. Schließlich wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt und

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