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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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angesprochen hatten, hätten das wohl nicht verstanden.
    Bevor jedoch all dies über uns hereinbrach, durften wir eine Weile den Erfolg unseres Verlages genießen. Ich tat, was ich am liebsten tat, nämlich mich mit Büchern umgeben, und konnte noch dazu davon leben. Sogar einen Mittelmeerurlaub konnten wir uns leisten.
    Bei uns zu Hause gingen die interessantesten Menschen ein und aus. Einer davon war der kommunistische Theoretiker Hikmet Kıvılcımlı, der nach vielen Gefängnisjahren nun zusammen mit seiner Frau in einer kleinen Wohnung lebte und Bücher schrieb, bei deren Herausgabe ich ihm behilflich war. Er war ein gebildeter Mann, der mehrere Fremdsprachen beherrschte, und daher war es schon befremdend, wie geschmacklos er sich eingerichtet hatte, mit künstlichen Blumen, kitschigen Holzschnitzereien und abscheulich braunen Möbeln. Türkische Intellektuelle waren manchmal recht eindimensional. Wer in Wirtschaft Bescheid wusste, hatte keine Ahnung von Literatur, und wer sich darin auskannte, verstand nichts von Musik, während Musikliebhaber oft genug alles andere ignorierten. Ein wahrer Intellektueller des 20. Jahrhunderts, dessen Bildung sich in ausgeglichener Manier in seinem Leben widerspiegelte, war nur ganz selten anzutreffen.
    Erschwerend hinzu kam eine gewisse linke Verbohrtheit. Einer der Anführer der Nationalen Demokratischen Revolution beklagte sich einmal, er könne bei sich zu Hause keine Tischdecke mehr auflegen, da dies von seinen Genossen als kleinbürgerliche Schwäche bekrittelt werde. Man schämte sich, Körperpflege zu betreiben, und lief lieber ungewaschen herum. Überhaupt machte sich eine ziemliche Grobheit breit. Die Linke, einst angetreten, um einen geistigen Hunger zu stillen, verkam allmählich zu einer Provinzbewegung, die allem Städtischen und Intellektuellen feindlich gesonnen war. Auch korrektes Türkisch zu sprechen, galt bald schon als Makel. Sauberkeit, Höflichkeit, Bildung, Fremdsprachenkenntnisse, als das wurden Eigenschaften, die man lieber schamhaft verbarg.
    Als »kleinbürgerlich« bezeichnet zu werden galt als Beschimpfung. Gemeint war damit, dass man der Unzulänglichkeiten seiner Persönlichkeit noch nicht Herr geworden war. Die Wut der jungen Leute vom Land galt allen städtischen Werten, und kleinbürgerlich hieß einfach städtisch.
    Dagegen lehnte sich in mir etwas auf. Ich kannte und liebte unzählige Volkslieder und -gedichte, aber daneben war ich auch der raffinierten westlichen Kultur zugetan. Das eine stand in meinem Kopf dem anderen nicht nach. Ich wusste, dass die Grobschlächtigkeiten, die da um sich griffen, mit der von mir so geschätzen Volkskultur nichts zu tun hatten, aber es herrschte eine solche Kriecherei vor dem heiligen Arbeiter- und Bauerntum, dass ich das selbst meinen engsten Freunden nicht klarzumachen vermochte.
    Wir pflegten uns in einem Lokal zu treffen, das sich ein gewisser Osman zum ständigen Aufenthaltsort auserkoren hatte. Mitten in einer wichtigen Versammlung klapperte er einmal in seinen Holzsandalen herein, breitete seine frisch gewaschenen Socken auf der Heizung aus und setzte sich dann zu uns, mit den nackten Füßen auf dem Tisch. Er durfte das, schließlich war er vom Dorf, also unterdrückt. Keiner traute sich, etwas zu sagen. Jenem Osman sollte ich später noch einmal begegnen, allerdings unter ganz anderen Umständen.

 
    D   er Militärputsch vom 12. März 1971 beendete das rauschhafte Abenteuer unserer Generation mit einem Schlag. Die freiheitliche Atmosphäre, die der erste Putsch uns beschert hatte, wurde uns durch den zweiten wieder genommen. Die Militärs hatten uns zunächst ein Spielzeug in die Hand gedrückt, nun aber rissen sie es an sich und zerstörten es. Für die Freiheit, die wir genossen hatten, wurde uns die Rechnung präsentiert.
    Bevor noch die Trunkenheit unserer ersten Jugend vorbei war, fanden wir uns in Verhörzellen und Gefängnissen wieder. Gemeinsam mit unseren Freunden und unseren Büchern. Jedes Theaterstück, in das wir gegangen waren, jedes gelesene Buch: Alles wurde zum Beweismittel gegen uns verwandt. Die Plauderei zweier Freunde an einer Straßenecke, ein harmloser Lachanfall oder eine in jugendlicher Unbeschwertheit durchgemachte Nacht wurden während eines Verhörs genauestens unter die Lupe genommen.
    Ich fand trotzdem in all diesen Wirren noch Zeit, um mich mit künstlerischen Dingen zu befassen. Ich übersetzte Tschechow-Briefe, schrieb Erzählungen und komponierte. Mein Singen

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