Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
und Komponieren wurde von Vasıf und vielen anderen ziemlich ernst genommen. Sie wollten mich ständig dazu überreden, eine Schallplatte aufzunehmen, doch lag mir das völlig fern. Musik machte ich nur für mich selbst oder höchstens noch für Freunde. Ich sah mich vielmehr als Schriftsteller.
Meinen Bruder Ferhat brachte ich aber dazu, klassische Gitarre zu lernen, was für sein Leben bestimmend sein sollte, denn er wurde tatsächlich später Musiker. Mein anderer Bruder Asım spielte Saz, und so entstand in unserer Familie eine Musiktradition, wenn auch sehr diskreter Natur.
Mit einem Schlag wurde die Türkei von dem Phänomen Deniz Gezmiş erfasst. Der militante Studentenführer und Rebell hatte sich ganz dem Antiimperialimus verschrieben. Er verübte mit seinen Gesinnungsgenossen Banküberfälle, Entführungen und bewaffnete Aktionen, bei denen aber kaum jemand zu Schaden kam. Deniz Gezmiş entwickelte sich rasch zur Legende. Der Staat versuchte mit allen Mitteln, seiner habhaft zu werden, was schließlich auch gelang.
Ich habe Deniz Gezmiş und seine Leute nicht persönlich kennengelernt. Da ich seit jeher gegen bewaffneten Kampf bin, habe ich auch ihre Aktionen nicht gutgeheißen. Und dennoch war ich betrübt, als sie gefasst wurden. Ich weiß noch, wie ich damals auf der Straße Kinder sah, die »Deniz Gezmiş« spielten. Die Fotos von seiner Festnahme, mit Bart und Parka, waren auf den Titelblättern sämtlicher Zeitungen.
Die linken Organisationen lieferten sich eine Art Wettstreit. Da die Türkische Volksbefreiungsarmee um Deniz Gezmiş zum bewaffneten Kampf übergegangen war, fühlte sich die Türkische Volksbefreiungsfront um Mahir Çayan bemüßigt, es ihnen gleichzutun. Einem damaligen Gerücht zufolge hatte Deniz Gezmiş über Unterstützung in gewissen Armeekreisen verfügt, während Mahir Çayan über einen Schwager, der als Hauptmann diente, ebenfalls in der Armee aktiv zu werden suchte.
Die Türkei schien sich auf eine Revolution zuzubewegen, und zwar nach Ansicht mancher kemalistischer Journalisten auf eine Revolution von links. Es war sogar schon eine Kabinettsliste im Umlauf, laut der einige dieser Journalisten künftig als Minister dienen sollten. Von einem Viersternegeneral hieß es, er stehe hinter der Bewegung, und so konnte das Gefühl aufkommen, man habe Deniz Gezmiş und seine Genossen gewähren lassen oder sogar unterstützt, um einem Putsch den Boden zu bereiten. Als die Gruppe um Mahir Çayan nun ebenfalls den bewaffneten Kampf aufnahm, entstand in der Türkei ein Klima gewalttätiger Auseinandersetzungen, bis schließlich am 12. März in den Mittagsnachrichten die Meldung vom Militärputsch verlesen wurde.
Ich weiß nicht, inwiefern wir uns an jenem ruhigen Märztag bewusst wurden, dass wir einen historischen Moment erlebten. Es gingen jedenfalls die wildesten Gerüchte um, und mir wurde immer unwohler in meiner Haut, so dass ich Ülker dazu bewog, aus unserer Wohnung, die zum allgemeinen Treffpunkt geworden war, lieber in eine unauffälligere Gegend zu ziehen. Wir sahen uns nach einer neuen Bleibe um und fanden schließlich etwas in einer herrlichen Villa im Stadtteil Gaziosmanpaşa in paradiesischer Umgebung.
Ich hatte unter der »Zu vermieten«-Tafel der Villa das Praxisschild von Dr. Faruk Demirtola entdeckt, einem linksgerichteten Arzt, den ich aus Trabzon kannte. Er hatte uns dort sehr geholfen und etwa für die Räume der Arbeiterpartei die Mietkosten übernommen. Als er nach Ankara gezogen war, hatte er jene Villa gekauft und freute sich nun, dass ausgerechnet wir die freie Wohnung im Obergeschoss übernahmen. Sie war perfekt für uns, und wir fühlten uns dort geborgen. Wie sehr wir damit im Irrtum lagen, würde sich erst Monate später herausstellen.
Die neue Militärjunta sollte schon bald ihr wahres Gesicht zeigen. Es kam massenhaft zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Die militanten Aktionen und Anschläge gingen indessen weiter. Nach der Entführung und Ermordung des israelischen Generalkonsuls Ephraim Elrom spitzte sich die Lage noch weiter zu. Deniz Gezmiş und seine Genossen standen vor Gericht, doch selbst als der Staatsanwalt die Todesstrafe forderte, glaubte niemand, dass sie tatsächlich aufgehängt würden.
Wir zerbrachen uns einstweilen den Kopf, was wir mit all den Büchern unseres Verlags anfangen sollten, die in der Tiefgarage eines Mietshauses in Kavaklıdere lagerten. Neben unseren eigenen Büchern standen dort auch wertvolle Werke, die wir
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