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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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einer Stelle unseres Stücks erteilte der Fabrikherr seinem Neffen eine Lektion und rief: »Du darfst nur ein Ziel haben: Profit, Profit, Profit!« Daraufhin stand im Zuschauerraum eine Gruppe von Leuten auf und fing an zu buhen. Sie waren von der Antiimperialismus-Fraktion und fühlten sich durch die antikapitalistischen Töne verraten.
    Wenn ich an unserer damaligen Gruppe herumkritisiere, dann darf ich ihr trotz all ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten nicht allzu sehr Unrecht tun, denn sie gehörte immer noch zu den vernünftigeren. Wir waren auch gegen jede Art von bewaffnetem Kampf. Und wenn auch die »bürgerliche Kultur« von uns kritisierte wurde, so fassten wir doch die Weltkultur als etwas Ganzes auf und wollten sie uns aneignen. Kultur bestand für uns nicht aus dem, was von sowjetrussischen Verlagen vorgegeben wurde, und ich scheute mich auch nicht, den »sozialistischen Realismus« als völlig verfehlt zu bezeichnen. Unsere Gruppe mochte also manchmal närrisch sein, aber es gab noch viel närrischere. Und an einem Silvesterabend sollte diese Narrheit so richtig zum Ausbruch kommen.
    Unser Theater und der Ekim-Verlag standen glänzend da. Vasıf hatte sich allerdings mittlerweile aufs Trinken verlegt. Eine Flasche Cognac und darauf noch eine Flasche Rakı waren ihm schon nicht mehr genug.
    Nach der letzten Aufführung des Jahres feierten wir alle gemeinsam Silvester. Als der Vorhang gefallen war, wurden im Foyer Tische aufgestellt und mit einem großen Büffet bestückt. Sämtliche Mitarbeiter von Verlag und Theater waren mit ihren Angehörigen erschienen, und es wurde gelacht und gesungen. Vasıf und ich fielen uns gerührt in die Arme. Mit einem Stück, das vor wenigen Monaten noch verschmäht worden war, hatte es Vasıf zum landesweit geachteten Theaterautor gebracht.
    Weit nach Mitternacht stieß noch eine größere Gruppe hinzu, und zwar Mitglieder jenes Istanbuler Theaters, von dem Vasıf sich getrennt hatte. Sie brachten Alkohol mit und erklärten, sie würden unseren Triumph gerne mitfeiern. Uns war dabei nicht recht wohl in unserer Haut, doch rückte alles zusammen, um für die 15 bis 20 Leute Platz zu machen.
    Plötzlich hörte man eine Frau aufschreien und danach eine schallende Ohrfeige. Augenblicklich gingen mehrere Leute aufeinander los, und kurz darauf wälzten sich schon manche auf dem Boden. Wie in einem Western droschen alle wie wild aufeinander ein, Tische flogen um, und die Garderobe ging zu Bruch. Es war eine blindwütige Schlacht im Gange.
    Ich brachte Ülker und ein paar andere Frauen nach hinten in den leeren Theaterraum. Alles ging drunter und drüber, und auf der Bühne stand plötzlich irgendein alevitischer Sänger, und in dem seltsamsten Lied, das ich je zu hören bekam, verkündete er, dass die Menschen, die weltweit »Hallo, hallo« ins Telefon riefen, damit eigentlich »Ali, Ali« meinten. Ich hatte das Gefühl, einem surrealistischen Theaterstück beizuwohnen.
    Als ich wieder ins Foyer hinauskam, tobte der Kampf noch wilder. In einer Ecke stand ein Mädchen in einem schwarzen Pullover und kreischte hysterisch: »Sartre! Sartre!«
    Mein Bruder Asım, der für gewöhnlich jeglichem Streit aus dem Weg ging, wurde plötzlich fuchsteufelswild und boxte auf einen betrunkenen, ungeschlachten Kerl ein, der einem Freund von ihm an den Kragen ging. Vasıf und ich bemühten uns nach Kräften, die Gemüter zu beruhigen, und liefen dabei ständig Gefahr, selber Prügel abzubekommen.
    Vasıfs älterer Bruder Veysel Öngören war in Ankara ein stadtbekannter Mann. Als ich sah, dass dieser hochinteressante Mensch, der die Eigenschaften eines Feudalherrn, eines Philosophen und eines Dichters in sich vereinigte, kampfeslustig die Ärmel hochkrempelte, wollte ich zu ihm eilen, um ihn vom Eingreifen abzuhalten, aber es standen mir zu viele Prügelnde im Weg. So schlug Veysel einem jungen Kerl von unserem Theater die Nase blutig. Als der ihn verdutzt anstarrte, rief Veysel: »Ich kann ja nicht gut unsere Gäste verprügeln! Das gehört sich doch nicht!« Und schon hielt er Ausschau nach dem nächsten Opfer aus den eigenen Reihen.
    Die Prügelei zog sich noch ewig hin. Wenigstens bekamen wir heraus, wie sie eigentlich angefangen hatte: Ein Mädchen namens Suna von Vasufs ehemaligem Theater hatte mit einer neben ihr sitzenden Frau einen Streit vom Zaun gebrochen, sie mit Flüchen überzogen und schließlich einem Mann, der jener beistehen wollte, das Gesicht zerkratzt.
    Gegen Morgen versuchte

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