Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Es brannte. In heller Aufregung liefen wir zur Tür und riefen nach den Wächtern. Aus einem Ofenkamin schlugen Flammen, und durch die Rauchentwicklung bestand akute Erstickungsgefahr, aber die Wächter wagten es dennoch nicht, die Tür aufzusperren, denn schließlich war dies ein Militärgefängnis. Da es gegen zwei Uhr nachts war, konnte auch kein Vorgesetzter aufgetrieben werden. Wir dachten schon, die Wächter würden uns sehenden Auges umkommen lassen, da bekamen sie doch einen Major an den Apparat, der ihnen die Erlaubnis zum Aufsperren gab.
Wir stürzten in die verschneite Nacht hinaus und warteten. An das Gefängnis grenzte ein Feld. Wer sich im Schutz der Dunkelheit davongemacht hätte, wäre nicht so leicht erwischt worden. Bis die Feuerwehr kam und den Brand löschte, verging ziemlich viel Zeit. Und erst danach traf der Militärkommandant von Ankara ein. Mir fiel auf, dass seine Schnürsenkel nicht richtig gebunden war, so eilig hatte er es gehabt.
Nachdem der Brand längst gelöscht worden war, standen wir immer noch draußen herum, da sich keiner um uns kümmerte. Erst jetzt fielen wir dem Militärkommandanten ins Auge. Sogleich brüllte er los.
»Sperrt die augenblicklich wieder ein! Die sind ja völlig unbewacht. Abzählen lassen! Sofort!«
Hektisch stießen uns die Soldaten in Richtung Zelle zurück. Obwohl wir nichts getan hatten, standen wir plötzlich da, als seien wir selbst für den Brand verantwortlich. Beim Abzählen stellte sich heraus, dass niemand fehlte, und es beruhigte sich alles wieder.
Nach einem Monat wurde ich zum Verhör gebracht. Die »Kontrgerilla« genannten paramilitärischen Sondereinheiten waren damals in Ankara anscheinend noch nicht aktiv, denn sie mischten sich in die Verhöre nicht ein. Als ich fünf Monate später erneut verhaftet wurde, hielten sie bereits alles in der Hand.
Ich wurde zur Sonderstaatsanwaltschaft in der Landwirtschaftsfakultät gebracht. In dem Gebäude, in dem ich später einmal Vorträge halten und freundlichst empfangen werden sollte, erwartete mich nun ein Verhör durch den Generalstaatsanwalt İlhan Şenel. Der Mann, der einen zivilisierten Eindruck machte, hatte einen dicken Ordner vor sich liegen, in dem er herumblätterte und mir dann Fragen stellte wie: »Ist am 4. Mai der und der zu Ihnen gekommen?« oder »Waren Sie Ende Juni bei dem und dem?«. Es handelte sich jeweils um Leute, mit denen ich sowieso andauernd Umgang hatte; nur konnte ich mich nicht an die genauen Termine erinnern. Nach einer halben Stunde war das Verhör vorbei.
»Entschuldigen Sie, darf ich Sie mal was fragen?«, sagte ich dann. Der Staatsanwalt sah etwas verwundert drein, doch er erwiderte: »Bitte!«
»Meine Wohnung ist durchsucht worden, man hat in meinen Büchern herumgewühlt, und dann bin ich ohne irgendeine Begründung einen Monat lang eingesperrt worden. Ich darf meine Familie weder sehen, noch bekomme ich Nachrichten von ihr. Nach all dieser Demütigung glaubte ich nun, von Ihnen endlich zu erfahren, was gegen mich vorliegt, und dann fragen Sie mich nach jahrelang zurückliegenden Familienbesuchen, nach Picknicks und Kaffeenachmittagen. Ich weiß wirklich nicht, was ich mir darauf für einen Reim machen soll.« Der Staatsanwalt rückte ungemütlich in seinem Sessel herum. Anscheinend wusste er selbst nicht, was er sagen sollte. Dadurch ermutigt, redete ich weiter. »Alles, was in solchen Berichten steht, sieht verdächtig aus. Entschuldigen Sie, aber wenn Sie gestern Abend mit Freunden zusammengesessen haben, dann wirkt auch das wie ein Geheimtreffen, sobald es auf einem gestempelten Papier steht.«
Da schlug der Staatsanwalt auf den Ordner und rief: »Zum Teufel mit den Kerlen! Die blödsinnigsten Berichte schleppen sie an. Nichts als Lügen stehen da drin.«
Und damit meinte er niemand anders als den Geheimdienst.
D ie Reaktion des Staatsanwalts kam nicht von ungefähr. Die Berichte aus der Feder der Geheimdienstspitzel auf seinem Schreibtisch mussten voll unsinnigster Beschuldigungen sein. Das Putschregime war davon besessen, bestimmte Intellektuellenkreise, um jeden Preis ins Gefängnis zu bringen. Den Staatsanwälten oblag es dann, für die Verhaftungen irgendeinen Vorwand zu finden und sich Anklageschriften auszudenken.
Wir hatten unsere Inhaftierung Mustafa Beşgen zu verdanken, jenem jungen Zeichenlehrer und Literaturliebhaber aus Trabzon, der mit uns allen Umgang hatte und mit seiner kranken Phantasie nicht nur Tag für Tag Bericht über
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