Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
beeindruckt, und beim Abschied gab er mir seine Adresse in Oslo.
Aufgrund der zunehmenden Schwierigkeiten erwog ich, was Freunde mir schon seit Jahren rieten, nämlich mein Glück als Musiker zu versuchen. Ich ging seit langem regelmäßig in die Nationalbibliothek, um die türkische Volksmusik zu erforschen, und eines Tages stieß ich dabei in einer alten Zeitschrift auf ein Lied mit dem Titel »İnce Memed«, das sich als Stück von ganz besonderem Flair erwies. İnce Memed war der Titel des bekanntesten Buches von Yaşar Kemal (auf deutsch: Memed mein Falke ), und so reizte es mich, dem Autor jenes Lied vorzuspielen. Bei meinem nächsten Istanbul-Aufenthalt ging ich daher in die Buchhandlung, die ein Verwandter von ihm betrieb, denn es hieß, dort sei Yaşar Kemal immer wieder anzutreffen. Am zweiten Tag schon hatte ich Glück. Ich sprach ihn an, und er zeigte sich sogleich interessiert und lud mich für den folgenden Tag zu sich nach Hause ein, noch dazu mit dem Versprechen, mir Köfte aus seiner Heimatregion Çukurova zu machen.
Als ich bei ihm eintraf, saß in einer Ecke des vor Büchern überquellenden Wohnzimmers Thilda Kemal, Yaşars Frau. Sie sah mich über ihre Brille hinweg kurz an, grüßte herüber und vertiefte sich dann wieder in ihre Arbeit.
Wir unterhielten uns zuerst, und ich berichtete Yaşar Kemal von meiner Arbeit; dann griff ich zur Saz und spielte ihm das Lied vor. Er war sehr angetan, aber auch seine Frau horchte plötzlich auf. »Die Begleitung ist interessant«, sagte sie. Thilda Kemal war musikalisch veranlagt und spielte Klavier, und ihr war sofort die Saz-Technik aufgefallen, die ich dem Dede in Çorum abgeschaut und dann weiterentwickelt hatte. Ich spielte Arpeggios wie auf einer Gitarre und nicht einfach nur die Melodie, wie man das im Radio hörte.
Nachdem ich mich verabschiedet hatte, sagte Thilda: »Pass auf, Yaşar, diese Musik hat was. Du wirst sehen, der Junge wird noch mal berühmt.«
Als mir Yaşar Kemal das einige Tage später erzählte, sagte er: »Was Thilda vorhersagt, das tritt auch ein. Über Yılmaz Güney hatte sie das Gleiche gesagt.«
I ch weiß nicht mehr genau, wie es zustande kam, aber ich schloss dann mit der damals recht angesehenen Istanbuler Plattenfirma Sayan Plak einen ersten Vertrag ab. Er lief über zwei Jahre und stattete mich mit einem üppigen Vorschuss aus.
Hochzufrieden fuhr ich nach Ankara zurück und zeigte Ülker den Vertrag. Beim gemeinsamen Durchlesen stießen wir auf das Wort »Künstler«. Wir sahen uns an und lachten los. Meinen Freunden zeigte ich den Vertrag vor lauter Scham gar nicht.
Ich stellte die Stücke zusammen, die ich auf der ersten Platte einspielen wollte. Mit meinen eigenen Kompositionen wagte ich mich noch nicht hervor; die mussten warten, zum Teil sehr lang. Ich hatte unter anderem Brecht-Gedichte vertont und Traueroden geschrieben.
Der stille Widerstand, der sich gegen die Putschisten herausbildete, wurde im Wesentlichen von Gedichten und Liedern getragen, die von Ohr zu Ohr gingen. Ich hatte mir einige davon angeeignet, unter anderem eine Trauerklage über Deniz Gezmiş und seine Genossen.
Während der Plattenaufnahmen in einem Istanbuler Studio sprach ich einen Produzenten an, von dem es hieß, er kenne sich im Musikgeschäft bestens aus und wisse genau, was die Leute hören wollten. Ich spielte ihm ein Stück von mir vor, von dem ich mir viel versprach. Er hörte es sich an und meinte dann: »Nun ja, nicht schlecht, aber so was setzt sich hier nicht durch.« Das Stück hieß »Leylim Ley«, war die Vertonung eines Gedichts von Sabahattin Ali und sollte sich später in diversen Interpretationen mehr als fünf Millionen Mal verkaufen.
Es war mittlerweile Dezember 1972. Laufend wurden Professoren und Politiker verhaftet, und da wir es zum ersten Mal mit einer richtigen Militärjunta zu tun hatten (anders als nach dem vorhergehenden Putsch), dachten wir, schlimmer könne es nun nicht mehr kommen, aber da täuschten wir uns. Bereits nach der Ermordung des israelischen Generalkonsuls hatte sich die Lage verschärft, aber nun wurde sie noch gefährlicher.
Ich spielte schon länger mit dem Gedanken, nach Europa auszuwandern, da nicht abzusehen war, wie lange das Militärregime noch an der Macht bleiben würde. Dazu brauchte ich aber einen Pass, der nicht leicht zu bekommen war. Wie schon so oft griff mein Vater hilfreich ein und schickte mich zu einem Freund, der Beziehungen zum Polizeipräsidium hatte. Der Freund
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