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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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rief den Leiter der Abteilung 1 an, und danach stellte ich meinen Antrag. Eine Woche später sollte ich meinen Pass abholen.
    An dem bewussten Tag ging ich ins Polizeipräsidium, erfuhr aber von dem zuständigen Beamten, dass mein Pass noch nicht eingetroffen war. Der Mann telefonierte ein paarmal und ließ sich schließlich mit der Abteilung 1 verbinden. Ich merkte, wie er mich auf einmal seltsam ansah. Kurz darauf kamen zwei Polizisten und brachten mich in den siebten Stock, wo ich erst einmal warten sollte. Mir wurde immer mulmiger. So leicht würde ich da nicht mehr herauskommen, dachte ich. Nach etwa einer Stunde erschienen andere Polizisten, sagten »Los geht’s!« und legten mir Handschellen an. »Wohin?«, fragte ich. »Nach Hause!« Wir stiegen in ein Polizeiauto ein, und unterwegs erzählten sie mir, von Seiten der Notstandsregierung sei ein Haftbefehl gegen mich ergangen, und sie hätten mich am Vormittag gerade abholen wollen, als ich wegen meines Passes zufällig vorbeigekommen sei.
    »Wenn man vom Teufel spricht!«, sagten sie lachend. Bei mir zu Hause stellten sie dann auf der Suche nach Büchern alles auf den Kopf. Ülker, die beim Hausputz war, sah ihnen erst eine Weile verblüfft zu, dann platzte ihr der Kragen. »Sie sehen doch, dass hier geputzt wird! Schämen Sie sich denn nicht, hier mit schmutzigen Schuhen herumzulaufen und alles durcheinanderzubringen?«
    Diese Worte zeitigten eine erstaunliche Wirkung, denn die Polizisten, die als türkische Männer trainiert waren, verheirateten Frauen Respekt zu erweisen, hörten tatsächlich auf Ülker und entschuldigten sich verlegen. In George Orwells Mein Katalonien gibt es eine ähnliche Szene. Während des Spanischen Bürgerkriegs übernachten Orwell und seine Frau in einem billigen Hotel. Unter dem Bett haben sie Waffen versteckt, die sie den Republikanern überbringen sollen. In der Nacht wird an die Tür gepocht, und Franco-Soldaten kommen herein. Sie suchen alles ab, nicht aber das Bett, um die Dame im Nachthemd nicht zu belästigen, und so kommen die Orwells davon. Orwell schrieb danach: »Wäre das in Deutschland passiert, hätten sich die Nazi-Soldaten nicht um eine verheiratete Frau geschert, sondern sie hätten die Waffen gefunden und uns anschließend erschossen.«
    Die Villa, in der wir wohnten, war ziemlich verwinkelt. Man konnte zum Beispiel durch eine Luke über der Treppe in einen Speicherraum gelangen. Mir fiel auf, dass den Polizisten diese Besonderheiten anscheinend schon bekannt waren.
    Am Mittag verabschiedete ich mich von Ülker. Ich sagte nur: »Ich weiß nicht, was sie von mir wollen. Hoffentlich dauert es nicht lange. Gib Aylin einen Kuss von mir!« (Meine Tochter war zum Glück im Kindergarten und bekam das alles nicht mit.)
    Auf der Rückfahrt fragte ich die Polizisten, warum sie sich in dem Haus so gut auskannten.
    »Vor Ihnen hat dort der Polizeipräsident gewohnt«, erwiderten sie, und mir schoss das Blut ins Gesicht. Da hatte ich mich so bemüht, möglichst unauffällig zu wohnen, und war ausgerechnet in das Haus geraten, das die Polizei am allerbesten kannte. Erst später sollte ich erfahren, dass die Nachbarsvilla dem Geheimdienst gehörte.
    Die Polizisten brachten mich in ein Gefängnis weit außerhalb der Stadt. Ich erfuhr nicht einmal, was man mir eigentlich vorwarf. Ich wurde registriert, musste meine Habseligkeiten abgeben, und dann kam ich in eine Großraumzelle. Als sich meine Augen langsam an das Dunkel gewöhnt hatten, machte ich in dem Raum an die 60 bis 70 Personen aus, die gerade aßen. Einige standen auf und kamen auf mich zu, und da merkte ich zu meiner großen Überraschung, dass ich sie kannte und nicht nur sie, sondern fast alle in der Zelle. Es waren lauter Menschen, mit denen ich in meiner Zeit in Trabzon Bekanntschaft gemacht hatte, entweder in der Stadt selbst oder bei meinen Fahrten entlang der Küste. War ich denn völlig verrückt geworden? Wie in einem Buñuel-Film schienen mir Wirklichkeit und Traum durcheinanderzugeraten. Aber diese Leute, die von Aluminiumtellern Linsen löffelten, waren echt. Mal lächelte mir ein Hotelier zu, den ich aus Hopa kannte, mal grüßte ein alter Krämer herüber, den ich in dem Städtchen Maçka kennengelernt hatte. Selbst enge Freunde wie Ali Faik Cihan waren da. Die vergitterten Fenster waren sehr hoch, und die Stockbetten reichten bis fast zur Decke hinauf. Die Leute sahen mir an, wie geschockt ich war, und umarmten mich. Dann boten sie mir einen Stuhl an,

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