Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
ich Ömer Zülfü Livaneli war, und in Schweden sperrten sie mich ein, weil ich nicht Ömer Zülfü Livaneli war.
Und so geschah es tatsächlich. Ausgerechnet in dem Land, in das ich mich geflüchtet hatte, nahm man mich in Haft. Ich wurde weggebracht und konnte der immer noch weinenden Ayperi nur noch zurufen: »Holt Ülker vom Flughafen ab! Sie war noch nie im Ausland.«
In einem Nebenraum wurde ich von vorne und von der Seite fotografiert. Anscheinend sollten die vom Schicksal gebeutelten Asylbewerber wenigstens auf dem Foto lächeln, denn an der Wand hing eine Karikatur: Einer attraktiven Frau ging ein Polizist hinterher, dessen Schlagstock hochstand wie ein erigierter Penis.
Unter den türkischen Lesern dieses Buches mag sich der eine oder andere an diese Fotos erinnern, denn als ich mich zwanzig Jahre später um das Bürgermeisteramt von Istanbul bewarb und gewisse Kreise einsahen, dass ich beste Aussichten hatte, auch gewählt zu werden, besorgten sie sich von der schwedischen Polizei jene Bilder, die dann unmittelbar vor der Wahl unter der Schlagzeile »Fotos, die Zülfü gar nicht passen« veröffentlicht wurden. Anstatt sich bei einem Künstler zu entschuldigen, der unter dem Militärregime gelitten hatte, ohne je etwas verbrochen zu haben, stellte man ihn lieber noch einmal als Kriminellen an den Pranger. Dabei waren Verfolgte aus Griechenland, Spanien oder Chile, die seinerzeit mit mir im schwedischen Exil gelebt hatten, in ihren Ländern mittlerweile in höchste Staatsämter gelangt, während die damaligen Juntaführer im Gefängnis saßen. In der Türkei dagegen wurde der Faschismus nie wirklich ausgerottet.
Nach dem Fotografieren brachte man mich mit dem Aufzug in das oberste Stockwerk. Dort wurden mir meine Habseligkeiten abgenommen und einzeln registriert, dann sperrte man mich in eine Einzelzelle. Im Polizeipräsidium von Ankara waren diese Zellen im Untergeschoss gewesen, und hier nun ganz oben.
In der fensterlosen Zelle hörte ich ohne Unterbrechung ein Ventilatorsummen. Eine Zeitlang schrie ich aus Leibeskräften, dann versagten mir die Nerven, und ich brach in einen hysterischen Lachanfall aus.
D reimal täglich bekam ich Essen in die Zelle. Schwedisches Essen. Anstatt Brot gab es das spanplattenähnliche »knäckebröd«, und der Fisch war eine mit Zwiebeln und Zucker versetzte kalte Angelegenheit. Selbst im Kartoffelsalat war Zucker.
Am zweiten Tag kam nachmittags ein älterer Polizist zu mir in die Zelle und sagte etwas auf Schwedisch. Ich signalisierte ihm, dass ich nichts verstand, aber er wiederum konnte kein Englisch und redete weiter Schwedisch auf mich ein. Als das keinen Erfolg zeitigte, wurde er immer lebhafter, und schließlich verlegte er sich auf Gesten. Er atmete tief ein und hob und senkte die Arme. Das sollte wohl bedeuten: »Es ist ungesund, immer nur herumzusitzen. Mach ein bisschen Gymnastik!« Ich empfand es als ungehörig, den alten Mann ganz alleine herumturnen zu lassen, und so stand ich auf und machte ihm die Bewegungen nach. Daraufhin marschierte er mit großen Schritten in der Zelle auf und ab und atmete dabei wieder tief. Da ich mich schon mal darauf eingelassen hatte, tat ich ihm auch das alles nach. Aber das stellte ihn irgendwie nicht zufrieden. Er hampelte noch mehr herum. Was immer er mir vormachte, turnte ich ihm nach, so gut es ging. Ich wusste damals nichts über die Gepflogenheiten des Landes, und die Schweden waren mir so fremd wie Marsmenschen. So dachte ich mir eben, in schwedischen Polizeizellen werde täglich auf diese Weise trainiert. Der Polizist war mittlerweile rot angelaufen und außer Atem. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ihm soviel Training gut tat, aber er musste es ja wissen. Da ging er auf einmal hastig aus der Zelle hinaus. Er wirkte verärgert, so als hätte ich die Übungen irgendwie nicht richtig gemacht.
Nach einer Weile kam eine junge, Englisch sprechende Polizistin herein und klärte die Sache auf. Nach dem Mittagessen war Hofgang, und das hatte ihr Kollege mir verzweifelt beibringen wollen.
Nach diesem merkwürdigen Einstieg wurde ich zum Hofgang hinausgeführt, der – wir waren ja im obersten Stockwerk – einfach in einer nach oben offenen und mit Stacheldraht überspannten Zelle stattfand. Man sah also wenigstens den Himmel und atmete frische Luft.
So blieb ich mehrere Tage in der Zelle und verbrachte auch meinen Geburtstag darin, ohne von irgendjemandem Nachricht zu bekommen.
Eines Morgens kam ein Polizist in
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