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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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Skandinaviens. Auch wenn meine durch Putsch- und Gefängniserfahrung leidgeprüfte Seele deren Qualitäten überhöhte.
    Ich blieb zunächst eine Weile in Hamburg, konnte mich aber mit Deutschland nicht anfreunden. Vor meiner Abreise aus Istanbul hatte Onat Kutlar mir die Adresse eines in Norwegen lebenden türkischen Arztes gegeben, der mir behilflich sein könnte. Ich beschloss, zu dem Mann zu fahren.
    Als ich in Oslo ankam, fand ich ohne große Mühe die angegebene Adresse. Eine strohblonde, blasse junge Frau mit einem Kind auf dem Arm öffnete mir die Tür. Ich stellte mich vor und wurde sofort eingelassen. Es war, als hätte sie jemanden wie mich schon erwartet. Sie rief ihren Mann im Krankenhaus an und sagte dann, er würde gleich kommen. Sie hieß Jana und war Norwegerin. Ihr Sohn, der kleine Kerem, sah mich mit seinen schwarzen Augen neugierig an.
    Bald darauf erschien der gutaussehende Arzt und drückte mir freundlich lächelnd die Hand. »Ich bin Gencay Gürsoy. Willkommen bei uns!« So fern von Istanbul hatte ich eine Heimstatt gefunden. Schon nach einer Stunde glaubte ich, die Familie schon seit Jahren zu kennen. Sie ahnten wohl gar nicht, wie gut mir in jenen düsteren Tagen ihre Wärme und Herzlichkeit tat.
    Ein paar Tage darauf riefen wir zusammen Olof Storvik an, jenen norwegischen Journalisten, der mich in Ankara zum Putsch befragt hatte. Olof war freudig überrascht, und da er sich an die Lieder erinnerte, die ich ihm vorgespielt hatte, schlug er mir vor, damit eine Radiosendung zu machen. So kam es, dass ich zum ersten Mal auf europäischem Boden Radioaufnahmen machte. Die Sendung, in der die Stücke auch erläutert wurden, fand Anklang und wurde mehrfach wiederholt. Sie kam auch dem in Belgien lebenden Exilantenehepaar Doğan und İnci Özgüden zu Gehör, und deren Firma Coodiff machte mir einige Monate später ein Angebot, durch das meine Musikerlaufbahn ihren Anfang nahm.
    Gencay war der Meinung, aufgrund des liberaleren Asylrechts in Schweden hätte ich dort mehr Chancen auf Anerkennung. Er empfahl mir, mich in Schweden an einen Bekannten von ihm namens İlhan Koman zu wenden.
    So machte ich mich eines Tages mit dem Nachtzug von Oslo nach Stockholm auf. Als ich morgens dort ankam, brach ein strahlender Maitag an. Das Stadtviertel, das ich suchte, hieß Drottningholm. Als ich eine ältere Frau danach fragte, erwiderte sie lachend, dahin sei es aber weit, und erklärte mir, welchen Bus ich nehmen sollte. In ausgezeichnetem Englisch wünschte sie mir noch einen schönen Tag, schwang sich auf ihr Rad und fuhr davon. Auch die Fahrerin des blitzsauberen Busses sprach Englisch. Meine ersten Eindrücke von Schweden waren außerordentlich positiv. Anscheinend hatte ich die richtige Wahl getroffen.
    Je weiter ich auf der langen Busfahrt aus Stockholm herauskam, um so mehr Wälder und Seen mit Inselchen darin waren zu sehen. Eichhörnchen hüpften an der Straße entlang. Drottningholm selbst war eine Welt für sich. Das riesige Schloss mit den Gärten, Waldstücken und glitzernden Wasserflächen rings herum war von atemberaubender Schönheit. Später erfuhr ich, dass »drottning« im Schwedischen »Königin« bedeutete und der Königin das Schloss auch gehörte. Im Garten vor dem Schloss lagen die Leute ungeniert auf dem Rasen. Väter ließen ihre blonden Babys auf dem Bauch krabbeln, junge Mädchen fuhren auf Rädern vorbei. Die Menschen waren viel leichter bekleidet als in der Türkei, aber in dieser Umgebung hatte dies nichts Anzügliches an sich. Vor der Königin oder irgendwelchen Wächtern fürchtete sich hier niemand.
    Da ich aus einer Stadt kam, in der einem der Kohlenrauch ständig die Kehle reizte und die schmutzigen Straßen immer wieder gesperrt wurden, um schwarzen Limousinen die Vorfahrt zu lassen, bestaunte ich dieses Idyll.
    Das war genau das richtige Umfeld, in dem Aylin sorglos aufwachsen und Ülker nach den Strapazen der letzten Jahre endlich zur Ruhe kommen konnte.
    Als ich wieder nach der Adresse fragte, wies man mich zu einem Pfad, der einen Meeresarm entlangführte. Ich folgte ihm so lange, bis ich vor mir ein großes Boot sah, auf dem M/S Hulda stand.
    İlhan Koman hatte ein ausgemustertes Fischerboot gekauft, es wohnlich eingerichtet und war damit in der Bucht von Drottningholm vor Anker gegangen. Nun lebte er hier mit seiner schwedischen Frau Kerstin und den vier Kindern. Der weißbärtige, gutaussehende İlhan war ein angesehener Bildhauer und unterrichtete an der

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