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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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sogleich wohl. Von dem bewaldeten Hügel, auf dem das alte Holzhaus stand, hatte man einen herrlichen Ausblick auf einen See. Die meisten meiner Mitbewohner waren ehemalige Marineoffiziere, die sich politisch betätigt hatten. Zuerst teilte ich mit Ayhan ein Zimmer, dann bekam ich ein eigenes.
    Im Erdgeschoss der Villa lebte Cillas Bruder, den wir aber nie zu Gesicht bekamen. Es hieß, er sei psychisch krank. Er ging nie aus dem Haus und spielte von morgens bis abends arabische Musik. Im Obergeschoss wohnte sie selbst mit ihrem riesigen kastrierten Hund, der so viele Haare verlor, dass alles ganz weiß davon war. Abends versuchten wir manchmal, unserem Heimweh Herr zu werden, indem wir gemeinsam türkische Lieder sangen.
    Dort lernte ich auch den Fotoreporter Güneş Karabuda und seine schwedische Frau kennen, die mir rieten, mich dauerhaft in Schweden niederzulassen, und mir in aller Herzlichkeit jegliche Hilfe zusicherten. Ihre Tochter Ayperi, allseits bekannt dafür, sieben Sprachen zu beherrschen, war der große Liebling des türkischen Milieus.
    Mir war so, als sei Schweden das richtige Land für mich. Nun brauchte ich nur noch Ülker und Aylin nachzuholen. Wir kommunizierten über eine in die Türkei reisende junge Schwedin und vereinbarten, dass Ülker sich einen Pass besorgen und mit einer SAS -Maschine nach Stockholm fliegen sollte.
    Zuvor wollte ich politisches Asyl beantragen, um rechtlich abgesichert zu sein. Die Sache hatte allerdings einen Haken, so dass ich zu einer Notlüge greifen musste. Seinen Asylantrag durfte man nämlich nur in dem Land stellen, über das man nach Europa eingereist war. Um nicht nach Deutschland zurückgeschickt zu werden, durfte ich der schwedischen Polizei meinen Pass nicht zeigen, der ja einen deutschen Einreisestempel aufwies. Ich würde also behaupten, ich sei direkt nach Schweden gekommen und hätte meinen Pass danach verbrannt.
    So machte ich mich eines Tages zusammen mit Ayperi Karabuda ins Stockholmer Polizeipräsidium auf und beantragte dort politisches Asyl. Wir wurden in einen Verhörraum gebracht, in dem ich wahrheitsgemäß angab, als Verleger in der Türkei bereits dreimal inhaftiert worden zu sein. Ayperi dolmetschte für mich.
    Der verhörende Polizist wollte daraufhin meinen Pass sehen. Ich sagte, den hätte ich verbrannt. Wo ich ihn denn verbrannt habe, fragte der Polizist. Ich wollte schon antworten: Im Wald, aber vielleicht war das nach schwedischen Gesetzen ja verboten. »In einem Ofen.« Der Polizist wurde immer misstrauischer und erkundigte sich nun nach den Einzelheiten meiner Zugreise. Bis Deutschland konnte ich ihm alles plausibel machen. Und dort sei ich eben in einen Zug nach Schweden umgestiegen.
    »Aha. Und wie sind Sie dann übers Meer gekommen?«
    »Mit der Fähre.«
    »Schön. Sie haben also die Fähre bestiegen?«
    Das war eine merkwürdige Frage. Der Polizist sah mich so forschend an, als ob alles auf diese eine Antwort ankäme. Fieberhaft überlegte ich, worauf er hinaus wollte. Mit dem Besteigen der Fähre musste es eine besondere Bewandtnis haben, sonst hätte er doch nicht so komisch gefragt? Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Nein, der Zug ist auf die Fähre gefahren.«
    Das schien noch einmal gutgegangen zu sein. Da holte der Polizist ein dickes Heft hervor und blätterte darin herum. »Da haben wir’s«, sagte er. »Es gibt tatsächlich einen Verleger namens Ömer Zülfü Livaneli, der inhaftiert wurde und bei uns Anspruch auf politisches Asyl hätte. Jetzt müssen Sie aber erst mal beweisen, dass Sie dieser Livaneli sind.«
    Später sollte ich erfahren, dass das ihm vorliegende Dokument von Amnesty International stammte. Ich war jedenfalls erleichtert, denn wenn ich einen Anspruch auf Asyl hatte, was sollte da noch passieren? Meine Identität zu beweisen, konnte doch nicht schwer sein. Oder doch?
    »Weisen Sie sich bitte aus«, sagte der Polizist.
    »Ich bin mit einem falschen Pass ausgereist, da kann ich doch nicht gut meinen echten Ausweis dabeihaben.«
    »Woher soll ich dann wissen, dass Sie Ömer Zülfü Livaneli sind?«
    »Aber das ist doch Unsinn! Ich bin es einfach, und jeder weiß das«, rief ich.
    Ich kam mir vor wie bei Kafka. Schließlich sagte der Polizist: »Bis Sie Ihre Identität beweisen können, müssen wir Sie in Untersuchungshaft nehmen.« Noch bevor Ayperi mir das dolmetschen konnte, brach sie in Tränen aus.
    Es war zum Verrücktwerden. In der Türkei war ich im Gefängnis gewesen, weil

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