Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Türkei sie je hören würde, und dabei fand sie über Kassetten hunderttausendfach Verbreitung. Als die zweite Platte entstand, war ich in Stockholm so allein wie ein einzeln stehender Baum.
Die meiste Resonanz kam aus der Türkei. Vielen wurde mein Name durch die Platte plötzlich zum Begriff. Zum Teil erfuhr ich erst Jahre später, was für positive Reaktionen ich ausgelöst hatte.
Die griechische Sängerin Maria Farantouri hörte meine Platte im Haus eines Freundes in Athen, nahm daraufhin zwei der Lieder in ihr Repertoire auf und sang sie zum ersten Mal bei einem Konzert in Berlin. Der chilenische Liedermacher Angel Parra wollte gemeinsam mit mir auftreten, und mit dem belgischen Sänger Julos Beaucarne ging ich auf Tournee.
Ausgelöst wurde das alles nur durch den »Sound« auf der Platte. Die Passion, mit der ich an die Sache herangegangen war, hatte sich auf die Platte übertragen und wirkte nun auf die Menschen.
Ich war nichts weiter als ein politischer Asylant ohne Geld und Einfluss, aber mit meinen beiden Platten hatte ich dennoch das Herz der Hörer berührt. Seitdem bin ich überzeugt, dass wahre Kunst keine Beziehungen braucht, um sich durchzusetzen. Man muss den Leuten sein Werk nur zugänglich machen; in meinem Fall über eine Plattenfirma.
Mit diesen Gedanken unternahm ich mit Dinç eine Reise nach Paris. Wir kauften dazu einen spottbilligen, aber uralten Kleinbus, der uns auch prompt eine Stunde nach Fahrtantritt schon im Stich ließ. Wir ließen uns aber nicht entmutigen und trieben einen Mechaniker auf, der das Fahrzeug wieder flott bekam.
Da ich Gedichte von Nâzım Hikmet vertonte hatte, suchten wir in Paris dessen ehemalige Frau Münevver Andaç auf, die damals in einer Galerie arbeitete. Auch Abidin Dino besuchten wir. Wir wohnten in einem billigen Hotelzimmer mit Toilette irgendwo auf dem Gang und ernährten uns von morgens bis abends von Baguette-Sandwichs, die es im Quartier Latin für gerade mal vier Francs gab. Eines Tages beschlossen wir, Geld für einen Film zu opfern, von dem wir viel Gutes gehört hatten. Wir versorgten uns wieder mit Baguette-Sandwiches und gingen ins Odéon, in Brot und Schokolade von Franco Brusati. Während der Werbung bissen wir in unsere knusprigen Baguettes, was uns vorwurfsvolle Blicke eintrug. An ein Weiteressen war nicht zu denken, und so ließen wir die Sandwichs in den Schoß sinken und versuchten dabei das Einwickelpaper so wenig wie möglich rascheln zu lassen. Der Film begann mit einem von Nino Manfredi dargestellten italienischen Gastarbeiter, der in einem gepflegten, stillen Schweizer Park ein Brot und ein Stück Schokolade herausholte und zu essen anfing. Er erzeugte damit ähnliche Geräusche wie wir zuvor und wurde von den vornehmen Schweizern nicht weniger abfällig gemustert als wir in dem Pariser Kino. Darauf griffen wir wieder zu unseren Sandwiches und bissen herzhaft hinein, ohne uns um die anderen zu kümmern. Was die Kunst doch für eine Kraft entfalten konnte!
Im gleichen Jahr war der junge türkische Regisseur Tunç Okan im Begriff, den Film Der Bus über eine Gruppe türkischer Einwanderer zu drehen, die von ihrem Fahrer in Schweden im Stich gelassen werden. Ich sollte die Musik dazu komponieren, und nachdem ich das Drehbuch gelesen und die Werke über Filmmontage und -musik bei mir zu Hause noch einmal durchgegangen war, schrieb ich einige musikalische Grundthemen. Als ich sie Tunç vorspielte, gefiel ihm eines davon besonders gut. Die Musikaufnahme sollte in der Nähe von Bern stattfinden, und so fuhr ich mit dem Flötisten Hasse in die Schweiz, wo wir innerhalb von knapp zehn Tagen vor einer großen Leinwand die Filmmusik einspielten. Es war meine erste Musik für einen Spielfilm.
1975 bekam ich vom WDR das Angebot, für den Fernsehfilm Shirins Hochzeit von Helma Sanders die Musik zu komponieren. Die Aufnahmen wurden in Köln gemacht, und ich wurde vom WDR sehr anständig dafür bezahlt, so dass ich zum ersten Mal von der Musik einigermaßen leben konnte. Ich arbeitete auch für das schwedische Fernsehen und einige Berliner Sender.
Als das Stadttheater Göteborg Yaşar Kemals Roman Anatolischer Reis auf die Bühne brachte, stammte die Musik dazu ebenfalls von mir, und wir wohnten alle gemeinsam der Premiere bei, die ein Triumph wurde. Die Schweden ließen Yaşar Kemal im Foyer hochleben und warfen ihn sogar in die Luft. Er war damals in ganz Skandinavien sehr bekannt und wurde in Stockholm auf der Straße immer wieder um
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