Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
von allem ausgeschlossen. Ich kam mir vor, als sei ich aus dem hell erleuchteten Speisewagen eines Zuges plötzlich in eine dunkle Steppennacht hinausgeworfen worden; verweifelt sah ich den Schlusslichtern des davonfahrenden Zuges nach. Die Wurzeln meiner Kultur, meiner Musik, meines Schreibens, meiner ganzen Existenz waren in der Türkei. Ich musste dort wieder hin.
»Gehen wir doch zurück«, sagte ich immer öfter zu Ülker.
Ich tat ihr zwar leid, aber sie wollte sich auf das Abenteuer einer Rückkehr nicht einlassen. Frauen sind realistischer und gehen in lebensentscheidenden Dingen nicht gerne ein Risiko ein.
1975, also ein Jahr nach der türkischen Besetzung Nordzyperns, unternahmen wir eine Reise nach Athen und bestiegen dazu in Brindisi eine nach Patras abgehende griechische Fähre. Da es um die türkisch-griechischen Beziehungen schlecht bestellt war, hatte man mich gewarnt, ich solle auf der Fähre nur ja nicht einen »türkischen Kaffee« bestellen, sondern einen »griechischen«, auch wenn es sich um ein und dasselbe Getränk handelte. Ich ging also zur Bar der Fähre und bestellte einfach fünf Kaffee. Der junge Kellner fragte, was für welchen ich wolle, und ich sagte: »Griechischen.« Da drehte er sich zum Barmann um und rief: »Fünfmal türkischen Kaffee!«
Ich war zum ersten Mal in Griechenland, aber von dem Geruch dort, der dem in der Türkei so sehr ähnelte, vom Retsina und vom Blau der Ägäis wurde mir gleich ganz schwindlig. Mit griechischen Freunden saßen wir bis spät in die Nacht und tranken. Die Kombination von Ouzo, Retsina und Musik hatte eine fatale Wirkung auf mich.
Wir fuhren auf der peloponnesischen Halbinsel umher und aßen in kleinen Fischerhütten. Am Ende der Reise kauften wir uns in Athen noch Schallplatten und fuhren dann zurück nach Stockholm.
Auch die neunjährige Aylin hatte die Reise genossen. In Athen war sie überall »kuklamu« (mein Püppchen) genannt worden, und auf der Rückfahrt hatte in Venedig ein Eisverkäufer der »bambina« ein Eis spendiert. Sie fühlte sich in Stockholm wohl. Da Schwedisch für sie wie eine Muttersprache war, empfand sie keine Fremdheit. Sie trieb den ganzen Tag Akrobatik auf ihrem Fahrrad und spielte mit ihren schwedischen Freunden. Dass es bei ihr zu Hause etwas anders zuging, störte sie nicht weiter. Ihre Freunde nannten ihre Eltern beim Vornamen, und so fragte sie mich auch einmal, ob sie Zülfü zu mir sagen dürfe. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie nannte mich dann auch ein paarmal so, schien sich aber selbst nicht wohl dabei zu fühlen und ließ es bald wieder.
Für mich war es an der Zeit, wieder einmal in die Türkei zu fahren. Ganz traute ich dem Frieden dort noch nicht, aber zumindest besaß ich nun einen echten türkischen Pass, und Yaşar Kemal würde sich schon meiner annehmen. Meine Platten verkauften sich in der Türkei, es wurden Artikel über mich geschrieben, aber ich hatte noch keinerlei direkten Kontakt mit meinen Zuhörern und Lesern gehabt. So musste ich dort hinfahren, um die Lage zu sondieren. Natürlich hatte ich alle möglichen Befürchtungen. Ich konnte gleich am Flughafen verhaftet werden, oder vielleicht würden sie mich einfach nicht mehr aus dem Land lassen.
Ich musste es riskieren.
Angespannt bestieg ich das Flugzeug und war den ganzen Flug über extrem nervös. In Istanbul wurde ich von Yaşar Kemal und Thilda abgeholt, die auch ganz aufgeregt waren. Vor allem Thilda war sehr gegen die Reise gewesen und bangte um mich. Ihre albtraumhafte Furcht war immer, man würde mir die Hände abhacken, so wie es angeblich dem chilenischen Sänger Victor Jara geschehen war. Yaşar Kemal dagegen sagte: »Angst hilft auch nicht gegen den Tod. Es ist nun mal dein Land hier. Ganz klar, dass du kommst.« Dabei wirkte er selbst ziemlich beklommen.
Ich kam reibungslos durch die Passkontrolle. Wir stiegen ins Auto und fuhren los. Istanbul roch nach Benzin und Staub. Die Straßen waren schlecht beleuchtet, das Auto uralt, aber es kam mir alles vor wie im Paradies. Sogar nach dem Straßendreck hatte ich mich gesehnt.
Nach Jahren war ich endlich wieder in der Heimat.
E s war alles so ganz anders als in der stahlblauen Kälte Schwedens, die allmählich aus mir wich. Wie Dostojewski bei jeder Rückkehr nach Russland ging es auch mir so, »als würde ich in meine alten Pantoffeln schlüpfen«.
Am nächsten Tag, einem strahlenden Sonntag, holte Yaşar Kemal mich ab, um mit dem Besuchsprogramm zu beginnen.
Weitere Kostenlose Bücher