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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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anatolischen Saz-Tradition begonnen hatte.
    Bereits damals, in dem Park in Paris, wusste ich schon, dass in der zu erschaffenden Formation der Saz eine ganz besondere Rolle zukommen musste. Der Impuls, unbedingt ein »vornehmeres« Instrument zu spielen, ist mir stets lächerlich vorgekommen.
    Zum »Millenium«-Konzert in Paris im Jahre 1999, bei dem zur Begleitung des Moskauer Sinfonieorchesters unter der Leitung von Zubin Mehta zahlreiche Künstler von Montserrat Caballé bis Lionel Richie jeweils fünf Minuten Auftrittszeit zur Verfügung hatten, nahm ich den Kanun-Spieler Halil Karaduman aus Istanbul mit. Bei den Proben sagte ich zu Zubin Mehta: »Maestro, ich würde bei meinem Stück gerne diese Kanun dabeihaben.« Der durch den Umgang mit den vielen Künstlern reichlich angespannte Mehta blickte zweifelnd auf das zitherähnliche Instrument in Halils Händen und erwiderte: »Ich habe mal ein Konzert mit Ravi Shankar dirigiert. Allein das Stimmen der Sitar hat schon einen Tag gedauert.« Ich versicherte ihm, dass es bei der Kanun nicht so sein würde, und so sagte er zu. Halil nahm also mit seiner Kanun vor dem Orchester Platz. Mit seinem wie Wasser perlenden Spiel führte er Dirigent und Orchester regelrecht an. Zubin Mehta war sehr zufrieden und wollte nach der Probe noch mehr über das Instrument wissen. »Beim Otello werde ich von jetzt an statt der Mandoline eine Kanun verwenden«, sagte er schließlich. »Wo die Oper noch dazu auf Zypern spielt.«
    Bei dem Konzert zeigte sich übrigens wieder einmal die Mentalität der türkischen Staatsvertreter. Die drei Moderatoren waren Gregory Peck, Sydney Poitier und Peter Ustinov. Vor dem Konzert wurde ich doch tatsächlich vom Außenministerium angerufen und gewarnt: »Gregory Peck ist eigentlich Armenier und heißt in Wirklichkeit Gregor Pekmezciyan.«
    Ich lachte nur über diese Aussage (wie sich herausstellte, war sie nicht einmal zutreffend). »Wenn Gregory Peck irgendetwas mit der Türkei zu tun hat, dann sollten wir stolz darauf sein«, sagte ich. »Und überhaupt: Freuen Sie sich doch in erster Linie, dass bei einem so bedeutenden Konzert das Werk eines Türken gespielt wird!«
    Mein Stück wurde zwar nicht von Gregory Peck angesagt, sondern von Peter Ustinov, doch als wir danach alle zum Essen ins Maxim gingen, konnte ich den trotz seines Alters und seiner weißen Haare immer noch strahlenden Star aus Ein Herz und eine Krone nach Herzenlust ansehen und dabei über die endlosen Torheiten meines geliebten Landes nachdenken.
    Die krankhafte Herabwürdigung bestimmter Musikinstrumente, wie sie unter Intellektuellen verbreitet ist, geht übrigens auf die Frühzeit der Republik zurück. Dem Dichter Ahmet Kutsi Tecer zufolge, sollen die sieben Saz des Volkssängers Aşık Veysel von Gendarmen verbrannt worden sein. Ähnlich hysterisch ging es in Griechenland zu, wo zeitweise das Bouzouki-Spielen verboten war. Ob die Bouzouki aber ein »gewöhnliches« oder ein »nobles« Instrument ist, hängt in erster Linie davon ab, wer für sie komponiert. Mikis Theodorakis und Manos Hadjidakis haben es verstanden, der Bouzouki Weltgeltung zu verschaffen.
    Ein endloser Streit. Hatte man nicht schon Mozart vorgeworfen, einfache Volksweisen zu schreiben? Dass seine Lieder nicht nur bei Hofe, sondern auch in Weinstuben gesungen wurden und er sich so »banalen« Themen wie in der Entführung aus dem Serail widmete, machte ihn in den Augen der Wiener Aristokraten und vor allem auch seiner neidischen Konkurrenten zum gewöhnlichen Volksmusikanten.
    Zurück in Stockholm machte ich mich sofort an die Arbeit. Ülker verdiente als Schwedischlehrerin 4.000 Kronen pro Monat und brachte uns damit über die Runden. Aylin wiederum fühlte sich in der Schule pudelwohl. Ich hatte somit die Muße, mich ganz mit der Musik und dem Schreiben zu beschäftigen. Ohnehin war ich fest entschlossen, einmal meinen Lebensunterhalt mit der Kunst zu verdienen und mich auf nichts anderes einzulassen, was ich dann auch in schwierigen Zeiten durchhielt.
    Zuerst dachte ich darüber nach, wie sich die verschiedenen Saz-Arten wie etwa Cura und Bağlama gemeinsam verwenden ließen. Die im Radio benutzte Sol-Re-La-Stimmung und die Unart, die Melodie nur auf einer Saite zu spielen und die anderen Saiten auf geradezu unmusikalische Weise anzuzupfen, waren überholt. Ich hatte mich vielmehr für die alte anatolische Mi-Re-La-Stimmung entschieden, die ein breiteres Spektrum an Harmoniemöglichkeiten eröffnete.
    Ich

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