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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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und wunderten sich, dass ich mich nicht blicken ließ.
    Die damals von Ferhat mitgebrachte Platte kündigte jedenfalls eine neue Zeit für mich an. Während ich ahnungslos in Schweden lebte, war ich in der Türkei zu Ruhm gelangt und sogar schon ausgebeutet worden.
    Unterdessen reifte in mir eine neue Platte heran, und zwar als Ausdruck meiner wachsenden Sehnsucht nach der Türkei. Wer ins Ausland flieht, ist erst einmal froh, gerettet zu sein, aber dann wird unweigerlich das Heimweh spürbar. Aus der Ferne denkt man jedoch weniger an das Heute, sondern träumt sich in Vergangenheit und Zukunft. Und in der Musik, die ich damals erfand, sollte sich das bemerkbar machen.

 
    I   m Frühjahr 1974 nahm ich am »Avantgarde-Festival« in Paris teil. Es war mein erstes Konzert im Ausland. Die Initiative zu meiner Einladung war von türkischen Gewerkschaftlern ausgegangen, die in Paris lebten und mich herzlich empfingen. Wir unterhielten uns den ganzen Abend angeregt, doch leider musste ich am nächsten Tag erfahren, dass einer von ihnen, Leon Şaul, auf der Heimfahrt mit seinem Motorrad tödlich verunglückt war.
    Das Festival fand in einem großen Park statt, in dem an die 30.000 Besucher über den Rasen verteilt waren. Die Musiker, die einander auf der Bühne ablösten, spielten jeweils die bewegendsten Lieder aus ihren Heimatländern. Da damals der Pinochet-Putsch noch nicht lange zurücklag, skandierte die Menge beim Auftritt von Gruppen wie Quilapayun oder Inti-Illimani: »El pueblo unido jamás será vencido!« (Wenn das Volk zusammenhält, kann niemand es besiegen). Mich überlief ein wohliger Schauer. Der Geist der internationalen Solidarität entzündete sich damals an Vietnam, Chile und Spanien und machte Zehntausende von Menschen zu Brüdern.
    Gegen Abend war ich selbst an der Reihe, ausgerechnet vor der berühmten Gruppe Blood, Sweat and Tears. Zum ersten Mal spielte ich vor so vielen Menschen. Zu den Liedern »Nâzım«, »Hiroschima« und »Pir Sultan« erklang die Saz über den Park hinweg. Es war nicht so, dass die Leute nicht zugehört hätten, aber zufrieden war ich dennoch nicht, als ich von der Bühne wieder abtrat. Zum einen hatte das Publikum die Texte nicht verstanden, die uns so wichtig waren. Und zum anderen war mit einer Saz allein nicht genügend Wirkung zu erzielen. Als dann Blood, Sweat and Tears losdonnerten, begriff ich, dass an unserem traditionellen Stil etwas geändert werden musste. Auch wir brauchten eine mit rhythmischen und harmonischen Elementen angereicherte Begleitung. Bei den chilenischen Gruppen waren neben einheimischen Instrumenten auch Gitarren, Bässe und Schlagzeug vertreten, und die Griechen stärkten ihren Bouzoukis mit einem Orchester den Rücken. Wir dagegen stellten uns hin und sangen unsere Gedichte zu einsamem Saz-Geklimper. Während ich durch den Park streifte und der Rockmusik lauschte, regte sich etwas in meinem Kopf. Ich musste, koste es, was es wolle, unseren Liedern und den Instrumenten, mit denen sie gespielt wurden, zu einer neuen Harmonik und Rhythmik verhelfen.
    Zuvor hatte es mit dem »anatolischen Rock« bereits Versuche gegeben, die Saz in die Rockmusik zu integrieren, doch war sie dabei eher wie eine Gitarre behandelt und die Volksmusik ganz einfach aufgepeppt worden. Bei einigen wenigen Stücken funktionierte das tatsächlich. Auch hatten zeitgenössische Komponisten im Geiste der republikanischen Kulturideologie sich mit Volksliedern befasst und sie mehrstimmig orchestriert. Mir aber kam es vielmehr darauf an, das Wesen und die Ausdrucksstärke der Volksmusik herauszuarbeiten, um das ganze Potential der traditionellen Instrumente auszuschöpfen. Außerdem mussten wir auf der Grundlage unserer musikalischen Tradition neue Lieder und Balladen schaffen, als die geeignetsten Ausdrucksformen moderner Lyrik.
    Der Auffassung, die ich damals entwickelte, sollte später sowohl in der Türkei als auch im Ausland großer Erfolg beschieden sein. So richtig bewusst wurde mir das 1999, als ich einen Brief aus San Remo bekam: Mir sollte dort der jährlich verliehene Preis des besten Liedermachers zugesprochen werden. Ich erkundigte mich, wer den Preis zuvor schon bekommen hatte, und erhielt zur Antwort, unter den bisherigen Preisträgern seien etwa Leonard Cohen, Jacques Brel und Léo Ferré gewesen. Bei der Preisverleihung und dem Konzert im Ariston-Theater in San Remo hatte ich das Gefühl, ich sei am Ende einer langen Reise angelangt, die einst mit der alten

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