Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Autogramme gebeten. Seine Bücher waren auf den Bestsellerlisten, und nicht zuletzt galt er als aussichtsreicher Anwärter auf den Nobelpreis.
S eit den Wahlen im Oktober 1973 herrschte in der Türkei nicht mehr das rauhe Klima wie nach dem Putsch, und ich wurde etwas zuversichtlicher. An Nachrichten aus der Heimat gelangten wir nur mühsam. Mit unserem alten Röhrenradio war lediglich der Auslandssender »Stimme der Türkei« zu empfangen, und auch der ging oft genug im Rauschen unter.
Durch meine Filmmusiken und inzwischen drei Schallplatten war ich zum Berufsmusiker geworden, aber meine eigentliche Leidenschaft, nämlich das Schreiben, ließ mich nicht los. Ich verfasste jeden Tag Erzählungen und schrieb an einem Roman, der »Ein ordnungsliebender Anarchist« heißen sollte. Insgesamt fünf Fassungen des Romans fertigte ich an, und als er 2001 tatsächlich veröffentlicht wurde, trug er den Titel Katze, Mann und Tod . 1978 erschien mein Erzählband Ein Kind im Fegefeuer. Eine Erzählung daraus wurde vom schwedischen Fernsehen und vom ZDF verfilmt.
Um in Ruhe arbeiten zu können, mietete ich bei uns im Viertel ein Zimmer, in dem ich dann oft stundenlang rauchumwölkt vor meiner Schreibmaschine saß. Ich war in ständigem Zweifel darüber, ob das, was ich zu Papier brachte, auch wirklich etwas taugte oder nicht. Ach, wenn doch damals eine Muse herabsteigen und dem Sterblichen, der nach dem Geheimnis des Romans forschte, tröstend hätte sagen können: »Gib nur nicht auf! Deine Mühe wird dir gelohnt werden und nicht nur in deinem eigenen Land.« Gewiss wären meine Finger dann zuversichtlicher über die Tasten geflogen. Aber wer sich mit der Kunst abmüht, dem flößt leider niemand solches Selbstvertrauen ein. Man sitzt mutterseelenallein vor seinem leeren Blatt Papier und weiß nicht einmal, ob man wenigstens Talent hat. Manchmal denkt man, gerade ein Meisterwerk hervorzubringen, und dann wieder, das Geschriebene tauge gar nichts.
Neben den Erzählungen und dem Romanprojekt entstand auch eine Artikelserie mit dem Titel »Revolutionäre ohne Revolution«. Ich sprach dazu mit politischen Flüchtlingen aus verschiedenen Teilen der Welt; mit Algeriern, Chilenen, mit Tupamaros aus Uruguay und Mitgliedern der Japanischen Roten Armee. Es war auffallend, wie sehr sich die Erlebnisse dieser Menschen ähnelten, so verschieden auch ihre Kulturen sein mochten. Die meisten von ihnen hatten an bewaffneten Aktionen teilgenommen und sich danach in das künstliche Paradies Schweden geflüchtet, in dem sie nun ein Dasein fristeten wie Aquariumfische.
Ich gab die Artikelserie dem Dichter Nevzat Üstün mit, der sich gerade in Stockholm aufhielt. Er sollte sie bei Cumhuriyet unterbringen, was ihm wider meines Erwartens nicht gelang. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, denn was ich geschrieben hatte, galt mir zumindest nicht schlechter als so manch andere in Cumhuriyet veröffentlichte Serie. Ich dachte damals, ausschlaggebend für das Erscheinen eines Artikels sei allein seine Qualität, aber da kannte ich das türkische Pressewesen schlecht. Fern der Heimat unterschätzte ich die Bedeutung persönlicher Beziehungen und die herrschende Cliquenwirtschaft.
Schließlich vermittelte Yaşar Kemal die Artikelserie an die Herausgeber der Zeitung Politika , die sie veröffentlichten und mich um weitere Artikel baten. Ich schrieb also weiter, und zwar unter dem Vornamen Ömer, so dass die Leute bei Politika mich für einen Bruder des Musikers Zülfü hielten. Da die Artikel gut ankamen, verfasste ich dann regelmäßig einen »Brief aus Stockholm« sowie etwas später eine Serie über die türkischen Gastarbeiter, die nicht so einfach in die Heimat zurückkehren konnten, wie sie sich das gedacht hatten.
So kam nun Tag für Tag – wenn auch verspätet – die Politika ins Haus, und darin meine eigenen Artikel zu lesen, bereitete mir große Freude. Die Herausgeber der Zeitung wussten ja gar nicht, wie viel es mir bedeutete, zur Türkei wieder eine direkte Verbindung zu haben.
Kurz nach dem Rücktritt der Regierung Ecevit im September 1974 rief jemand von der Zeitung bei mir an und sagte, der ehemalige Außenminister Turan Güneş werde noch am gleichen Tag in Stockholm eintreffen, vermutlich zur Vorbereitung einer Schwedenreise Ecevits. Ich solle doch zum Flughafen hinausfahren und Güneş interviewen.
Es war aber just der Tag, an dem Ülker plötzlich ins Krankenhaus musste und sogar gleich operiert werden sollte, so
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