Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Wir gingen als erstes in eine Bar in Beşiktaş, und so früh es auch war, wollte Yaşar Kemal uns sofort Alkoholisches bestellen. Ich wehrte ab und erzählte ihm von dem Magengeschwür, das ich mir in Schweden geholt hatte. Die Ärzte hatten mir eine strenge Diät verordnet. Mir war fast alles verboten, und trotzdem krümmte ich mich oft vor Schmerzen.
Daraufhin sagte Yaşar Kemal zum Kellner: »Unser Freund hier hat ein Magengeschwür, bringen Sie ihm was Passendes!«
Kurz darauf hatte ich einen Gin Tonic und geröstete Kartoffeln vor mir stehen. »Wenn ich das esse, falle ich tot um«, sagte ich entsetzt. Ich durfte ja nicht einmal Milch trinken.
»Das mit deinem Magengeschwür ist rein psychologisch«, versetzte Yaşar Kemal. »Keine Angst, dir passiert schon nichts.«
Das sagte er in so munterem Ton, dass ich auch schon überredet war. Wir tranken dann fröhlich drauf los. Wo immer ich danach auch hinkam, ging es mir ähnlich. Meine Schwiegermutter tischte mir auf, was die türkische Küche nur bot. »Das hast du bestimmt schon lang nicht mehr gegessen«, sagte sie bei jedem Gericht und zeigte deutlich, dass sie beleidigt gewesen wäre, hätte ich nicht von allem zumindest probiert. Bei meinem Vater in Ankara erinnerten sie sich an jede einzelne meiner früheren Leibspeisen, und keine durfte mir entgehen. Ich wurde mit Saucen und Gebratenem und Fettem traktiert, als wäre ich aus einem Straflager heimgekehrt und müsste aufgepäppelt werden. Wie man sich schon denken kann, war von meinem Geschwür bald nichts mehr übrig, und abgesehen von ein bisschen Gastritis habe ich mit dem Magen seither keine Probleme mehr gehabt.
Als wir ziemlich angeheitert aus der Bar in Beşiktaş traten, war es gegen Mittag. Wir fuhren an den Bosporus und zogen dort von einem Fischrestaurant zum anderen. Ob Makrelen oder Muscheln, wir machten uns über alles her, was ich nicht hätte essen dürfen, und spülten es mit Rakı und Wein hinunter.
Der Bosporus glitzerte, und ich verlebte den glücklichsten Tag meines Lebens. Ich hatte das schwedische Dunkel hinter mir gelassen, die schwedische Kälte, mein schwedisches Asylantendasein. Es war ja schon ein Erlebnis für mich, dass auf den Bussen und den Schildern alles auf Türkisch stand. Das war für mich geschrieben und sprach mich direkt an. Auch die Gesprächsfetzen um mich herum verstand ich alle auf Anhieb. Und sogar wenn ich eine Katze um die Fischstände herumschleichen sah, dachte ich: eine türkische Katze.
In Schweden kam ich mir immer vor wie auf dem Beifahrersitz. Ich konnte auf die schwedische Gesellschaft nicht richtig einwirken, und sie war ja auch gar nicht für mich gedacht. Ich zählte dort nicht. In der Türkei kam ich mir ganz anders vor. Das war mein Land, dort wurde meine Sprache gesprochen und nach meinen Begriffen gelebt. Ich war dort nicht Asylant, sondern Staatsbürger, und mir kamen fast die Tränen bei diesem Gedanken.
Abends auf dem Rückweg steckten wir in einem Stau fest. Es ging nur schrittweise vorwärts, und irgendwann stieg Yaşar Kemal aus dem Taxi aus und rief: »He, der Mann hier ist auf Heimaturlaub! Hat da keiner Verständnis dafür?«
Am Tag darauf fuhr ich nach Ankara. Ich hatte meinem Vater nicht Bescheid gesagt, und als ich zu Hause ankam, meinte die neue Frau meines Vaters, ich soll mich erst einmal in einem Zimmer verstecken, damit sie ihn langsam auf mich vorbereiten könne. Ich hörte sie dann sagen: »Da ist was, das dich freuen wird«, worauf mein Vater sofort herausplatzte: »Ist etwa Zülfü da?«. Um ihn nicht auf die Folter zu spannen, kam ich aus meinem Versteck. Zusammen mit meinen Geschwistern versuchten wir die Sehnsucht zu stillen, die so lange in uns gebrannt hatte. Meine Schwester Seyhan kochte sich in all ihrer Aufregung die Seele aus dem Leib und schuf dabei wahre Wunder.
Ein paar Tage später fuhr ich nach Istanbul zurück und suchte meine Plattenfirma Melodi Plak auf, deren Inhaber Turgut ein vollendeter Herr war, wie sie auf dem Plattenmarkt und überhaupt in ganz Istanbul immer seltener wurden.
Ich war bereits ziemlich bekannt, aber eben nur dem Namen nach. Niemand wusste, was für ein Mensch ich war, und irgendwie stellten sich die meisten – vermutlich wegen meiner tiefen Stimme – einen kräftigen Mann mit donnerndem Auftreten vor. So erntete ich immer wieder die gleiche Reaktion: »Ach, Sie sind das?«
Ich gewöhnte mich allmählich daran, dass auf einen mittelgroßen, studentisch wirkenden Livaneli
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