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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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niemand eingestellt war. Wenn auch manche recht enttäuscht wirkten, was sollte ich tun? Ich war nun mal der, der ich war.

 
    M   ein Aufenthalt war nur von kurzer Dauer, denn ich hatte das Gefühl, man würde mich nicht in Ruhe lassen. Obwohl ich eigentlich gar nicht weg wollte, war ich immer etwas unruhig, wie in einem Paradies voller Gefahren. Es waren Gerüchte im Umlauf, dass gewisse Kreise sich wegen meiner Platten an mir rächen wollten. Und die nach dem Putsch eingesetzten Sondergerichte waren immer noch nicht abgeschafft. Schließlich besorgte ich mir ein Rückflugticket nach Stockholm. Ich würde dort meine Sachen in Ordnung bringen, eine Weile abwarten und dann endgültig in die Türkei zurückkehren.
    An meinem Abreisetag saß ich mittags mit Yaşar Kemal und Thilda in einem Fischrestaurant in Kumkapı. Thilda war wie immer in Sorge, die Polizei könne mich an der Ausreise hindern. Tatsächlich war die Türkei wie eine Sparbüchse: Hinein kam man leichter als heraus.
    Wir verzehrten unseren Roten Knurrhahn, tranken Wein dazu, und irgendwann fingen wir an zu singen. Yaşar Kemal wirkte sehr traurig; dass ich nur so widerwillig ging, setzte auch ihm zu.
    »Wir lassen dich schon nicht allein. Ich versprech’s dir, wir kommen euch bald besuchen.« Das war vielleicht im Überschwang des Moments so dahingesagt, tat aber trotzdem gut.
    Am Abend stieg ich ins Flugzeug und kehrte nach Schweden zurück.
    Yaşar Kemal galt in jenem Jahr als der aussichtsreichste Kandidat für den Literaturnobelpreis, und wie ich später erfahren sollte, gab es keinerlei Grund, den Preis nicht an ihn zu verleihen. Da traten Türken und türkische Kurden auf den Plan und heizten die Gerüchteküche an. Sie warfen der Schwedischen Akademie vor, sich mit der türkischen Literatur gar nicht auszukennen. Yaşar Kemal sei ein fünftklassiger Schriftsteller, und den Nobelpreis ausgerechnet an ihn zu vergeben, nur weil er übersetzt worden sei, stelle eine Ungerechtigkeit dar.
    Von kurdischer Seite wurde eine Kampagne gestartet, laut der Yaşar Kemal dadurch, dass er auf Türkisch schreibe, seine kurdische Identität verleugne und als vom Staat bestellter Schreiber kurdische Volksmärchen als türkische ausgebe.
    Als Lars Gustafsson im Expressen gar schrieb, die in der Türkei aufgewachsene Schriftstellerin Diana Canetti, die er in Österreich kennengelernt habe, sei in der Türkei bekannter als Yaşar Kemal, platzte mir der Kragen. In einem Leserbrief stellte ich klar, dass mir trotz meiner langjährigen Verlegertätigkeit in der Türkei von einer solchen türkischen Schriftstellerin nichts bekannt sei.
    Lars Gustafsson zielte in seiner Antwort darauf unter die Gürtellinie und warf mir Rassismus vor: »Für Herrn Livaneli zählt Diana Canetti wohl nicht als türkische Schriftstellerin, aber er sollte nicht vergessen, dass Istanbul vor den Türken den Canettis gehörte.« Dabei hatte ich wirklich noch nie von einer Diana Canetti vernommen und habe das bis heute nicht.
    Yaşar Kemal kam dann tatsächlich zusammen mit Thilda nach Stockholm, so wie er es in Kumkapı versprochen hatte. Überglücklich machten wir lange Spaziergänge und sprachen viel über Literatur. Die Leute, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, ihn um den Nobelpreis zu bringen, legten diesen Besuch aber sofort negativ aus: »Der will doch hier nur das Nobelkomitee beeinflussen«, hieß es gleich. Dabei trafen wir uns mit keinem einzigen Schriftsteller und waren ganz mit uns selbst beschäftigt.
    In der fein austarierten Welt der Schwedische Akademie ergaben sich durch diese Polemik allerdings Gewichtsverlagerungen, so dass die Entscheidung schließlich gegen Yaşar Kemal ausfiel. Es bestätigte sich die alte Regel, laut der ein Türke dem anderen nichts gönnt, und wir durften erfahren, dass diese Regel sich auch auf Kurden anwenden ließ.
    Inzwischen tat sich für mich im Bereich der Musik Bedeutsames, denn Maria Farantouri, die bereits Lieder von mir in ihr Repertoire aufgenommen hatte, bat mich um neue Kompositionen und fragte, ob ich bereits Gedichte Nâzım Hikmets vertont habe.
    Genau das schwebte mir schon lange vor. Ich hatte die Lieder gehört, die Yves Montand, Pete Seeger und Paul Robeson mit Nâzım-Texten gesungen hatten, und in Finnland war ich einmal auf eine ganze Langspielplatte mit solchen Stücken gestoßen, doch in der Muttersprache Nâzıms gab es derlei beschämenderweise noch nicht, einmal abgesehen von den eher im Sprechgesang gehaltenen

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