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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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einzige, worauf der Staatsrundfunk TRT und der von Ostberlin aus operierende Sender sich einigen konnten, war die Ablehnung meiner Lieder.
    Auch mit einem Teil der Linken in Stockholm kam ich nicht besonders gut aus. Mit meiner Lebensweise, meiner Familie und meiner Kunstleidenschaft passte ich nicht so recht zu ihnen. Ich habe in jeder Lebensphase etwas gegen eine Verwilderung der Sitten gehabt, und wenn ich Anzeichen dafür bei der Linken feststellte, dann trat ich immer gleich den Rückzug an. In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es mir auf die leisen Töne an, und Kunst ist mir ein Lebenselixier. Ohne Musik, ohne Gedichte, Romane und Bilder kann ich mir kein Leben vorstellen. Wegen dieser Werte bin ich mit mehr als einem Linken aneinandergeraten. Und obwohl ich Künstler bin, liegt mir auch nichts an einem Boheme-Dasein. Wer mich damals kennenlernte, nahm mir oft mein Künstlertum nicht ab und hielt mich für einen braven Studenten. Als Jahre später bei einem UNESCO --Empfang in Paris erwähnt wurde, ich hätte die Musik zu dem Film Yol komponiert, rief eine Französin: »Unmöglich, so sieht er überhaupt nicht aus!«
    1975 fand der Eurovision Song Contest in Stockholm statt, und als Vertreter der Türkei, die sich zum ersten Mal beteiligte, kamen die Sängerin Semiha Yankı und der Musiker Timur Selçuk in die Stadt. Eurovisionsgegner hielten eine Alternativveranstaltung ohne Wettbewerbscharakter ab, bei der ich für die Türkei sang. Timur Selçuk und ich lernten uns in Stockholm kennen und schätzen. Wir streiften in der Stadt umher und sangen auch mal zusammen.
    »Du singst ja gar nicht schlecht, Ömer«, sagte Timur. In Schweden wurde ich von allen Ömer genannt, und auch heute noch bin ich etwa in Filmkreisen als »Ömer Z. Livaneli« bekannt. Während meines kurzen Türkeiaufenthalts besuchte ich Timur und lernte seine Frau und seine Tochter kennen. Damals hätte ich nicht gedacht, dass er mich später schwer enttäuschen würde.
    Mit Ausnahme der Türkischen Kommunistischen Partei waren damals die meisten linken Gruppierungen auf meiner Seite, doch leider kannte mich kaum jemand persönlich, so dass jeder aus meiner musikalischen Haltung seinen eigenen Livaneli ableitete.
    Ich litt im Lauf der Jahre viel unter den so entstandenen Vorurteilen, denn der »Zülfü Livaneli«, den so mancher sich zusammenbastelte, hatte mit mir nicht viel zu tun.
    Manche hatten zunächst über mich gehört, ich sei ein des Lesens unkundiger Volkssänger, und als sie dann meine Platte hörten, konnten sie sich nur wundern. Es war auch einmal das Gerücht im Umlauf, ich hätte fünf Jahre lang als Guerillakämpfer in Palästina verbracht, während andere behaupteten, ich sei ursprünglich ein Staatsanwalt aus Tunceli und aus Empörung über die Hinrichtung von Deniz Gezmiş in den Untergrund gegangen.

 
    D   en Silvesterabend des Jahres 1977 verbrachten wir im Haus von Şahin Alpay und feierten mit unseren Stockholmer Freunden die bevorstehende Rückkehr in die Türkei.
    Das zu Ende gehende Jahr hatte ich voll innerer Unruhe verbracht, denn ich hatte in Schweden nichts mehr verloren. Meine Musik wurde in der Türkei gehört, und um weiter komponieren zu können, durfte ich von meinen musikalischen Wurzeln nicht länger abgeschnitten sein. Ich brannte so sehr auf eine Rückkehr, dass ich nicht locker ließ, bis Ülker und ich unsere Sachen zusammengepackt hatten. Als diese zum Versenden bereitstanden, kamen aus der Türkei beunruhigende Nachrichten und ließen unseren Eifer erlahmen. Ein, zwei Wochen lebten wir nur mit dem allernötigsten Haushaltsgerät, dann fingen wir an, den einen oder anderen Karton wieder aufzureißen. Einen Monat danach wiederholte sich die Prozedur, und so packten wir je nach dem türkischen Politbarometer ein paarmal ein und aus.
    Anfang 1978 gingen wir tatsächlich zurück. Ein Teil unserer Sachen sollte mit dem Zug nachkommen, und wir warteten schon darauf. Da hieß es plötzlich, der betreffende Waggon stehe im Bahnhof von Izmir, obwohl er laut Vereinbarung in Istanbul hätte sein müssen. Uns blieb nichts anderers übrig, als nach Izmir zu fahren. Anstatt sich zu entschuldigen, verlangte die Eisenbahn von uns auch noch Stellgebühren.
    Den Vorschriften zufolge musste der versiegelte Waggon in unserer Gegenwart geöffnet werden. Wir gingen also zum Bahnsteig, und als das Siegel erbrochen und die Tür aufgeschoben wurde, riefen gleich mehrere Zollbeamte wie aus einem Mund: »Da war schon

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