Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Stockholm eine möblierte Wohnung.
Unmittelbar nach dem Putsch ließen die Platten- und Kassettenproduzenten in der Türkei alles, was von mir stammte, vom Markt verschwinden. Wer nachfragte, dem wurde beschieden, die Sachen seien verboten worden, was zu dem Zeitpunkt gar nicht stimmte. Ohne dass eine rechtliche Grundlage vorlag, wurde das Gerücht von einem Verbot verbreitet und schließlich Realität. Die Produzenten, die mich jahrelang durch die Raubkopien ausgebeutet hatten, taten mir jetzt noch ein größeres Unrecht an und spielten sogar mit unserem Leben.
Alsbald wurden über Radio, Fernsehen und Presse die im Exil weilenden Türken zur Rückkehr in die Heimat aufgerufen. Man bekam eine vierzehntägige Frist gesetzt, nach deren Verstreichen einem die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Die Alternative lautete also Gefängnis oder Staatenlosigkeit.
Manche Journalisten leisteten sich damals Ungeheuerliches. Wir lasen damals Tag für Tag die paar türkischen Zeitungen, die auch in Europa zu bekommen waren, und suchten die einschlägigen Kolumnen nach unseren Namen ab. Darin vorzukommen war nämlich gleichbedeutend mit einer Denunzierung an das Militärregime. Die Journalisten, die sich dazu hergaben, konnten einen damit um Heim und Herd und im Extremfall sogar ums Leben bringen, und sie luden diese Schuld in gänzlicher Verantwortungslosigkeit auf sich.
Über die Sängerin Melike Demirağ wurde etwa das Gerücht verbreitet, sie sei im griechischen Fernsehen über die Türkei hergezogen und habe sogar einen griechischen Namen angenommen. Diese Lüge verselbständigte sich in der Presse, bis es schließlich hieß, Melike habe behauptet, Melina Mercouris Tochter zu sein. Es blieb Melike dann nichts übrig, als ins Exil nach Deutschland zu gehen, wo sie bis 1991 blieb. Und wie ihr ging es vielen.
Jene Journalisten, die sich heute als große Demokratieverfechter aufspielen, haben zur Zeit der Militärdiktatur ihrem Berufsstand keine Ehre gemacht. Wenn Soldaten nachts eine Wohnungstür einschlugen und entsetzte Menschen aus ihren Betten trieben, dann wurden in den Zeitungen Bilder davon veröffentlicht und oft genug mit anzüglichen Kommentaren versehen. Unter einem Foto, auf dem ein junges Ehepaar blutüberströmt in seinem Bett lag, hieß es: »Das war ihr Liebesnest.« Mir wurde oft regelrecht schlecht beim Lesen dieser Zeitungen, und ich schämte mich, ein Türke zu sein.
Meiner Ansicht nach sollten heute in der Türkei die Verfehlungen der damaligen Presse aufgearbeitet werden. Man sollte von jenen Hassartikeln eine Art »Anthologie« zusammenstellen und sie den Kindern und Enkeln jener Journalisten präsentieren, die sich jämmerlichen Verleumdungen hingegeben haben, anstatt die Demokratie gegen den Putsch zu verteidigen.
Jawohl, die Putschisten haben gefoltert und getötet, aber die Presse hat sich daran mitschuldig gemacht. Ich bekam von jener großanlegten Kampagne auch das Meinige ab. Es begann mit Harmlosigkeiten, aber dann wurde ich sogar in der Cumhuriyet beschuldigt, ich hätte in einer Artikelserie, die in der gleichen Zeitung erschienen war, Atatürk geschmäht.
Das Regime war damals bemüht, seine Schandtaten durch ständige Berufung auf Atatürk zu bemänteln. In einer »100 Jahre Atatürk« betitelten Kampagne erging es sich in Verstiegenheiten, die jeglicher Logik entbehrten. Überall wurden Atatürk-Feinde gesucht, und wenn man meinte, einen erwischt zu haben, wurde dieser geopfert. In solch einer Atmosphäre war ein älterer Kolumnist sich nicht zu schade dafür, mich wegen meiner Artikelserie als Atatürk-Feind zu brandmarken.
Ich hatte damals über das Saz-Verbot in der Gründerzeit der Republik in den zwanziger Jahren geschrieben und unter Bezugnahme auf den Dichter und Politiker Ahmet Kutsi Tecer jene Worte Âşık Veysels wiedergegeben, laut denen ihm von Gendarmen sieben Saz verbrannt worden seien. Wohlgemerkt hatte ich an anderer Stelle darauf verwiesen, für solche Entgleisungen sei Atatürk nicht verantwortlich zu machen, denn jener habe nicht in jedem Einzelfall kontrollieren können, inwieweit vor Ort einzelne Eiferer übers Ziel hinausschossen.
Als ich die Zeitung in Stockholm las, ging ich gleich zu Yaşar Kemal und zeigte ihm den Artikel. Wie konnten sie sich nur zu einer derartigen Niedertracht herablassen! Von jenem Tag an wartete ich darauf, vom Regime zur Heimkehr aufgerufen zu werden. In der folgenden Woche schrieb eine Musikzeitschrift, ich sei in die DDR ins Exil
Weitere Kostenlose Bücher