Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
bekam den Titel Maria Farantouri singt Livaneli und erregte bei ihrem Erscheinen in Griechenland großes Aufsehen. Sie wurde in sämtlichen Zeitungen mehr als wohlwollend besprochen und im Radio andauernd gespielt.
Ich habe zeitlebens kein Tagebuch geführt. Lediglich bei unserer Griechenland-Tournee im Sommer 1981 drängte Ülker, ich solle mir Aufzeichnungen machen, um mich später an diesen besonderen Moment besser erinnern zu können. Ich wollte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen und machte mir daher ab und an Notizen. Im Rückblick merke ich jetzt, wie viel mir diese bedeuten, da sie nicht Fakten und Ereignisse widerspiegeln, sondern die Gefühle, die mich damals bewegten. Daher hier ein Auszug daraus:
»Wie alle Mittelmeermenschen lassen die Griechen beim Singen Schmerz in grenzenlose Freude übergehen. Sie sind mit vollem Ernst bei der Sache, als ob sie gerade über Leben, Tod, Welt und Schöpfung nachdächten. In jedem Lied wird uns Sterblichen eines unserer tragischen Geheimnisse enthüllt. Es ist ein Gebet, eine Opferfeier, nur dass den Wunden statt Blut sehnsuchtsvolle Töne entströmen.
Erst wunderte ich mich, dass ›Lied‹ im Griechischen ›tragoudi‹ heißt, da das Wort so gar nicht liedhaft klingt. Doch ›tragoudi‹ hat den gleichen Ursprung wie ›Tragödie‹, und das erklärt einiges. Neben den im Westen in letzter Zeit unternommenen Versuchen, durch knallbunte Bonbon-Musik glückliche, gesunde und dynamische Arbeiter heranzuziehen, ertönen im Mittelmeerraum, von Sizilien bis Kreta und von Barcelona bis Mersin, noch immer Lieder von tragischer Traurigkeit.
Nun ist aber die Mittelmeertraurigkeit von anderer Beschaffenheit als die anderer Kulturen. Ein Lied vom Mittelmeer ist kein Gewimmer. Im Gegensatz zu der arabisch beeinflussten Arabesk-Musik, die mir von Anfang an aufgesetzt und so gar nicht zu uns passend erschien, hat es nichts Wütendes, Zerstörerisches und Todessehnsüchtiges an sich. Laut Erich Fromm hat Todessehnsucht mit einer Rückkehr in die Erde und in den Mutterschoß zu tun. Das Meer aber lässt den Schmerz im Mondlicht aufglänzen, verbrennt ihn mit seinem Salz, macht ihn vital. Der Mensch vom Mittelmeer tanzt und singt: ›So ist es nun mal, Bruder! Wir müssen in Schmerzen fort aus dieser Welt, bevor wir sie richtig ausgekostet haben. Lass uns das, Schulter an Schulter, in Freude verwandeln!‹
Die klagende Arabesk-Musik spiegelt den flehenden Wunsch des vom Dorf in die Stadt geratenen Mannes wider, an schöne Frauen und Wohlstand zu gelangen, das Lied vom Mittelmeer hingegen die Melancholie eines Philosophen.«
Aus jener Zeit in Griechenland sind mir Erinnerungen voller Retsina, Salz und Rembetiko geblieben, auch an den alten Mann, der uns am Silvesterabend im Haus der Papayannakos »Chronia polla« (Ein gutes neues Jahr) wünschte und einer alten Tradition gemäß das erste Stück des Neujahrsbrotes »vasilopita« einem männlichen Gast des Hauses überreichte und dabei um Glück für alle Türken und alle Griechen betete.
U nsere Tournee führte uns auch nach Kreta, Samos, Lesbos, Korfu und Kythira. Auf Kreta, wo wir mehrere Konzerte gaben, erwarteten uns am Flughafen zwei Busse; in den einen stiegen die acht Orchestermitglieder, die Journalisten und wir; der andere wurde mit den Instrumenten beladen. Gefiel uns irgendwo eine Bucht, so wurde gehalten, und die Mittagessen mit Meerbarben, Tintenfischen, Kraken, Hummer, dem typisch kretischen Gemüse Horta und Retsina dauerten nicht unter drei Stunden.
Nach der Ankunft im Hotel suchten wir den Ort des Konzerts auf, meist ein Stadion, in dessen Mitte eine Bühne aufgebaut war. Nach dem Soundcheck warteten wir auf das Konzert. Wenn dieses irgendwann nach Mitternacht beendet war, lud uns in der Regel der Bürgermeister zusammen mit Honoratioren in eine bessere Taverne, wo dann 50, 60 Leute beisammensaßen, Reden gehalten wurden und man auf die griechisch-türkische Freundschaft trank. Nach griechischer Sitte bekamen Maria und ich jeweils ein kleines Erinnerungspräsent überreicht, etwa ein rosenkranzartiges Silberkettchen mit Muscheln daran oder wie auf Lesbos vom dortigen Bürgermeister – einem sehr betagten ehemaligen Chemiker – eigenhändig mit Gold überzogene Blätter.
Wohin man in Kreta auch ging, traf man auf Spuren aus der osmanischen Zeit. Am auffälligsten war dies in der Hafenstadt Chania, wo manche Straßen und Hamams noch türkische Namen trugen. Ich verband Kreta seit jeher mit dem dort
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